EU-Lieferkettengesetz: Fairtrade begrüßt wesentliche Fortschritte bei der Stärkung der Rechte von Kleinbauernfamilien

Das Europäische Parlament hat am 1. Juni 2023 das neue Lieferkettengesetz beschlossen. Die Richtlinie bietet eine einmalige Chance, die Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechte und Umwelt zu stärken.

Erstmals müssen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden verbindlich transparent machen, unter welchen Bedingungen ihre Produkte hergestellt werden. Das bedeutet für die Zukunft, dass der Schutz von Menschenrechten und Umwelt für Unternehmen, die bereits nachhaltig agieren, nicht länger ein Wettbewerbsnachteil sein wird. Die kommenden Verbesserungen sind auch ein großer Erfolg für die europäische Zivilgesellschaft, deren Forderung nach jahrzehntelanger Aufbauarbeit endlich umgesetzt wird. Fairtrade Deutschland setzt sich mithilfe von Zivilgesellschaft, Mitgliedsorganisationen und Partnerunternehmen bereits seit über 30 Jahren für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für Menschen in Ländern des globalen Südens ein.

Wesentliche Verbesserung des ursprünglichen Vorschlags

In einer gemeinsamen Erklärung beziehen Fairtrade International, Fair Trade Advocacy Office, Solidaridad und Rainforest Alliance Stellung: Das Parlament hat gegenüber dem Vorschlag der Europäischen Kommission wesentliche Verbesserungen erwirkt: Bei ihren Einkaufspraktiken und Geschäftsmodellen müssen Unternehmen die möglichen negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt berücksichtigen, sowohl potenzielle als auch tatsächliche. „Das ist eine wesentliche Verbesserung des Richtlinienvorschlags für Beschäftigte und Bauernfamilien, die letztendlich den Preis für unfaire Handelspraktiken zahlen", betont May Hylander, Policy and Projektbeauftragte beim Fair Trade Advocacy Office.

Für Existenzsichernde Löhne und Einkommen

Das Parlament hat den Kommissionsvorschlag außerdem verbessert, indem es nun neben dem Recht auf ein existenzsicherndes Einkommen für Kleinbauernfamilien auch das Recht auf einen existenzsichernden Lohn für Beschäftigte implementiert hat. Ein Drittel der Lebensmittel, die wir konsumieren, wird von Kleinbauernfamilien produziert – sie erzielen laut Definition ein Einkommen anstatt eines Lohns. Daher ist die gleichzeitige Benennung von sowohl Löhnen als auch Einkommen entscheidend.

 „Die Anerkennung des Rechts auf ein existenzsicherndes Einkommen im Rahmen der neuen Verordnung kann Unternehmen dazu veranlassen, ihre Einkaufspraktiken unter die Lupe zu nehmen und einen sinnvollen Beitrag zur Überwindung der Armut von Kleinbauernfamilien zu leisten", sagt Catarina Vieira, EU-Politikberaterin von Solidaridad.

Die Relevanz, mit den Produzierenden am Anfang der Lieferkette während des gesamten Due-Diligence-Prozesses sinnvoll zusammenzuarbeiten, wurde im Parlament ausführlich diskutiert, ebenso die Definition des Ausmaßes, in dem die Unternehmen dies tun müssen. Meri Hyrske-Fischer, Menschenrechtsberaterin bei Fairtrade International betont:

„Im Einklang der OECD-Leitlinien für die Sorgfaltspflicht bei verantwortungsvollem Geschäftsgebaren geht eine sinnvolle Einbindung der Stakeholder über eine bloße Konsultation hinaus. Sie soll den Unternehmen helfen, auf die Bedürfnisse und Bedenken der betroffenen Stakeholder einzugehen. Dazu gilt es, die Gruppen, die am stärksten von nachteiligen Auswirkungen betroffen sind, besonders zu berücksichtigen. Wir begrüßen, dass das Parlament diesen Ansatz verfolgt."

Gute Ansätze mit ungeklärten Fragen

Die unterzeichnenden Organisationen begrüßen die Position des Parlaments zu Cut-and-Run: Ein Rückzug von Unternehmen aus Risikogebieten soll nur als letztes Mittel unter Berücksichtigung möglicher negativer Auswirkungen auf die Folgen für Menschenrechte oder Umwelt möglich sein. Eine Einschränkung zur Verantwortungsübernahme im Standpunkt des Parlaments widerspricht den Grundsätzen eines verantwortungsvollen Engagements, wie sie in den OECD-Leitlinien und UNGPs dargelegt sind: „In Übereinstimmung mit internationalen Normen sollte ein Unternehmen alles in seiner Macht Stehende tun, um nachteilige Auswirkungen zu beenden oder abzumildern und sich nur als letztes Mittel zurückziehen, wenn es nicht die nötigen Mittel für ausreichende Verbesserungen hat“, betont Fanny Gauttier, EU Public Affairs Lead bei Rainforest Alliance.

Umkehrung der Beweislast und persönliche Haftbarkeit versäumt

Insgesamt bleibt jedoch festzuhalten, dass der Standpunkt des Parlaments ist nicht optimal ist. Er versäumt es, die Beweislast umzukehren – was jedoch entscheidend wäre um von Menschenrechtsverletzungen Betroffenen, Zugang zur Justiz zu gewährleisten. Außerdem fehlt ein Artikel, der die Verpflichtungen von Direktoren bei Einrichtung und Überwachung des Sorgfaltspflichtprozesses eines Unternehmens abdeckt. Dennoch verfügt das Europäische Parlament jetzt über ein solides Mandat für Trilog-Verhandlungen. Seine Position orientiert sich stärker an den OECD-Leitsätzen und den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) und bietet eine höhere Wahrscheinlichkeit für praktische Wirksamkeit.

Die nächsten Schritte: vom EU- zum nationalen Lieferkettengesetz

Es liegt nun in der gemeinsamen Verantwortung des Parlaments, der Kommission und des Rates, auf einen Kompromiss hinzuarbeiten, der die Ziele des Lieferkettengesetzes ambitioniert vorantreibt und unbeabsichtigte negative Auswirkungen eindämmt. Dazu gehört es auch, eine unverhältnismäßige Sorgfaltspflicht zu vermeiden, die weniger mächtige Akteure am Anfang globaler Lieferketten stark belastet.

Während der Sommermonate findet zwischen Vertreter*innen von EU-Kommission, EU-Rates und EU-Parlament, der sogenannte Trilog, statt. Ab 2024 erfolgt die Umsetzung, wobei die nationalen Parlamente gefordert sind. Sie müssen den europaweiten Beschluss in nationales Recht gießen