Existenzsichernde Einkommen und Löhne

Was kostet ein gutes Leben?

Noch immer reicht das Einkommen vieler Menschen im globalen Süden kaum zum Leben. Oft deckt es gerade einmal die Kosten für Grundbedürfnisse wie Wohnen oder Lebensmittel. Dabei ist eine gerechte Entlohnung ein Menschenrecht und das seit 70 Jahren: Wer arbeitet, sollte laut Definition der Vereinten Nationen (UN) so viel verdienen, dass die eigene Existenz und die der Familie gesichert ist.

Dafür braucht es ein Einkommen, das einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. Aber was ist ein angemessener Lebensstandard? Die Rede ist von einem Einkommen, das nicht nur die Kosten für Grundbedürfnisse wie Lebensmittel, Wasser und Unterkunft abdeckt, sondern auch Ausgaben für Bildung, medizinische Versorgung, Beförderungsmittel, Kleidung sowie Rücklagen für Notsituationen ermöglicht. Produzent*innen müssen die Chance haben, ihre Zukunft und die ihrer Kinder selbstbestimmt zu gestalten. Aus diesem Grund fordert Fairtrade existenzsichernde Einkommen und Löhne im globalen Süden.

Während man bei Angestellten von existenzsichernden Löhnen (Living Wage) spricht, ist bei Selbstständigen, also Kleinbäuerinnen und -bauern von existenzsichernden Einkommen (Living Income) die Rede. Beide Strukturen bringen individuelle Herausforderungen mit sich.  

Die Herausforderungen von existenzsichernden Einkommen

Viele Fairtrade-Produkte werden am Weltmarkt gehandelt. Dadurch sind Produzent*innen häufig Preisschwankungen ausgesetzt. Immer wieder werden sie gezwungen ihre Ernte unter Wert zu verkaufen. Von dem geringen Verkaufspreis bleibt den einzelnen Produzent*innen letztlich nicht genug für ein angemessenes Leben übrig. Um der Armut zu entfliehen, ziehen viele Menschen von ländlichen Regionen in die Städte und suchen dort nach alternativen Verdienstmöglichkeiten. Vor allem jüngere Menschen wenden sich von der Landwirtschaft ab. Die schlechte Einkommenssituation fördert zudem Kinderarbeit. Um das Überleben der Familie zu sichern, arbeiten Kindern im Anbau mit, anstatt zur Schule zu gehen.

Obwohl die niedrigen Rohstoffpreise ohne Frage ein Teil des Problems sind, ist eine Preiserhöhung allein nicht die Lösung. Warum? Viele Unternehmen und Verbraucher*innen sind schlichtweg nicht bereit, mehr für Rohstoffe und Produkte zu bezahlen. Würden Produzent*innen die Preise zu stark anheben, liefen sie Gefahr, keine Abnehmer zu finden. Zudem besitzen viele Produzent*innen zu wenig Anbauflächen – bei höheren Preisen bekommen sie zwar mehr Geld, können aber dennoch nicht genug Ware anbieten. Oft ist auch ineffiziente Bewirtschaftung ein Problem. Damit sie mehr Rohstoffe anbauen und ihr Einkommen steigern können, werden immer wieder Waldflächen abgeholzt.  

So engagiert sich Fairtrade für existenzsichernde Einkommen

Auch im fairen Handel sind existenzsichernde Löhne und Einkommen nach wie vor eine der größten Herausforderungen – Fairtrade will das ändern. Seit 2017 gibt es dazu eine eigene Strategie. Diese soll Produzent*innen auf dem Weg zu existenzsicherndem Einkommen unterstützen – und das langfristig.

Schon heute profitieren Produzent*innen in den Anbauländern von Mindestpreisen und Prämien. Der Fairtrade-Mindestpreis deckt die Kosten für eine nachhaltige Produktion und schützt vor Preisschwankungen am Weltmarkt. Mit Hilfe der Fairtrade-Prämie kann zudem in Projekte für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen investiert werden. Ständige Prüfungen und Erfahrungen von Fairtrade haben jedoch gezeigt, dass mehr nötig ist. Deswegen setzt Fairtrade auf verschiedene Maßnahmen:

Der Fairtrade-Mindestpreis und die -Prämie allein garantieren noch kein existenzsicherndes Einkommen, sind aber wichtige Werkzeuge bei der Umsetzung.

Für eine nachhaltige Preisgestaltung ist es zunächst einmal wichtig, die Höhe eines existenzsichernden Einkommens zu kennen. Aus diesem Grund hat Fairtrade (gemeinsam mit der Living Wage Coalition) begonnen, mithilfe der Anker-Methode sogenannte Living Income und Living Wage Benchmarks zu berechnen. Diese geben an, wie hoch ein Lohn oder ein Einkommen je nach Produkt und Land sein müsste, um existenzsichernd zu sein.

Die genaue Höhe hängt von den lokalen Preisen und Bedingungen sowie von der Anzahl der Familienmitglieder, die es zu versorgen gilt, ab. Die Daten dienen als Kompass; sie helfen, die Lücke zwischen Realität und Ziel abzubilden. Anhand der berechneten Benchmarks, der durchschnittlichen Produktivität (Erträge und Farmgröße) und den Produktionskosten für einen nachhaltigen Anbau berechnet Fairtrade ein neues Preismodell: sogenannte Referenzpreise (Living Income Reference Price).

Um vom fairen Handel profitieren zu können, müssen Kooperativen im Durchschnitt 30 bis 40 Prozent ihrer Ernte zu Fairtrade-Bedingungen verkaufen. Je höher die Absätze sind, desto größer die Vorteile für die Produzent*innen. Aus diesem Grund sind höhere Absätze eine wichtige Grundvoraussetzung für höhere Einkommen.

Hier kommen die Handelspartner*innen ins Spiel. Sie müssen nicht nur die Referenzpreise bezahlen, sondern sich selbst dazu verpflichten, existenzsichernde Einkommen zu fördern. Unter anderem indem sie ihr Engagement ausbauen, die Abnahmemengen erhöhen und in Begleitprogramme investieren.

Um größere Abnahmemengen überhaupt erst anbieten zu können, müssen viele Produzent*innen zunächst höhere Erträge erzielen. Aus diesem Grund setzt Fairtrade auf unterschiedliche Maßnahmen: zum einen auf eine umweltverträgliche Steigerung der Produktivität und der Qualität; zum anderen auf eine höhere Widerstandsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe. Dies gelingt beispielsweise, indem sie auf nachhaltige Anbaumethoden setzen und diversere Produkte anbauen. Dazu wird geprüft, welche Produkte sich je nach Land und Region eignen, um zu einem stabileren Lebensunterhalt beizutragen.

Gut geführte Organisationen gelten als verlässliche Geschäftspartner. Um als professionelle Organisation wahrgenommen zu werden, ist es wichtig, dass die Produzent*innen ihre Produktionskosten kennen und diese exakt benennen können. Die Daten können die regelmäßige Überarbeitung der Fairtrade-Preise verbessern. Dank der realen und aktuellen Daten lassen sich Preise und Prämien noch realistischer definieren. Daher unterstützt Fairtrade Produzent*innen bei der Sammlung von Informationen mit entsprechenden Tools.

Durch die Professionalisierung stärken die Produzent*innen zudem ihre Verhandlungsposition gegenüber Handelspartner*innen und Finanzgeber*innen. Wer eine gute Betriebsführung, tragfähige Geschäftspläne und eine ordentliche Finanzverwaltung nachweisen kann, erhält leichter Kredite. So können die Produzentenorganisationen rechtzeitig in Infrastruktur und Modernisierungen investieren. Auch eine strategische Investition der Fairtrade-Prämiengelder ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu zukunftsfähigen, professionellen Betrieben.

Ein existenzsicherndes Einkommen kann letztlich nur durch ein Zusammenspiel der einzelnen Maßnahmen erreicht werden. Wie die Fairtrade-Strategie konkret umgesetzt werden kann, zeigen erste Pilotprojekte. Auf der neuen Online-Plattform „Impact Diaries“ erzählen Produzent*innen in kurzen Videotagebüchern selbst von den Fortschritten der Einkommensprojekte und von den Veränderungen vor Ort.

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FAQs

Für viele Fairtrade-Produkte gibt es einen festgelegten Mindestpreis. Er deckt die Kosten einer nachhaltigen Produktion und dient als Sicherheitsnetz bei Preisschwankungen. Wann immer der Weltmarktpreis fällt, fängt der Fairtrade-Mindestpreis zertifizierte Produzent*innen auf.

Einige Länder, beispielsweise Côte d'Ivoire und Ghana, haben preisregulierte Kakaomärkte. Das heißt, die Regierungen geben einen staatlichen Mindestpreis (State regulated Farm-Gate Price) für den Kakao vor. Weder ein solcher staatlicher Mindestpreis, noch der Fairtrade-Mindestpreis garantieren allerdings ein existenzsicherndes Einkommen.

Das gleich gilt für staatliche Mindestlöhne, wie es sie in vielen Ländern gibt. Auch diese sind nicht mit einem existenzsichernden Lohn gleichzusetzen. Oft liegt der staatliche Mindestlohn sogar unter der von der Weltbank definierten Armutsgrenze von 2,15 US-Dollar pro Tag.  

Die Grundlage für den Fairtrade-Referenzpreis für existenzsichernde Einkommen, auch Living Income Reference Price genannt, bilden drei Parameter:

  • Die Benchmarks für existenzsichernde Einkommen
  • Kosten für eine nachhaltige Produktion
  • Durchschnittliche Produktivität und Größe der Farm

Anhand dieser Variablen berechnet Fairtrade die Referenzpreise. Diese geben den Rohstoffpreis an, den ein Vollzeit-Landwirt verdienen müsste, um ein existenzsicherndes Einkommen zu erhalten.

Fairtrade hat solche Benchmarks für Kakao in Côte d'Ivoire und Ghana sowie für Vanille in Uganda und Madagaskar veröffentlicht. Auch für Kaffee hat die Berechnung in mehreren Anbauregionen begonnen.

Benchmarks für existenzsichernde Löhne gibt es für den Bananenanbau in Lateinamerika und für Textilien aus Indien. Als nächstes sollen Referenzwerte für den ostafrikanischen Blumensektor folgen.

Der Weg zu existenzsichernden Einkommen und Löhnen ist lang. Auch wenn das Ziel klar definiert ist, allein wird Fairtrade es nicht erreichen können, so viel steht fest. Es braucht gemeinsame Anstrengungen von Politik, Industrie und der gesamten Lieferkette bis hin zu Verbraucher*innen.

Aus diesem Grund engagiert sich Fairtrade auf unterschiedlichen Ebenen – von öffentlichkeitswirksamen Kampagnen bis hin zu politischen Forderungen. Ein konkretes Datum, wäre bei so vielen beteiligten Akteur*innen und Faktoren schlichtweg nicht realistisch.

Die Strategie von Fairtrade berücksichtigt sowohl Kleinbäuerinnen und -bauern als auch Arbeiter*innen auf Plantagen. Obwohl ein existenzsichernder Lohn durch eine Lohnerhöhung leicht realisierbar scheint, braucht es auch hier einen umfassenden Wandel:

Ohne eine Steigerung der Produktivität oder der Absatzmärkte sind viele Betriebe nicht in der Lage, Angestellten ein höheres Gehalt zu bezahlen. Sie würden Gefahr laufen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.

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