Existenzsicherndes Einkommen – Fortschritt 2019

Im vergangenen Jahr wurden viele Schritte auf dem Weg zu existenzsichernden Einkommen für Fairtrade-Produzent*innen getan.

Im Jahr 2017 entwickelte Fairtrade International seine Strategie für existenzsichernde Einkommen für Produzent*innen. Welche Fortschritte bei der Entwicklung und Umsetzung im vergangenen Jahr gemacht werden konnten, beschreibt der neue „Fairtrade Living Income Report“ von Fairtrade International.

Living Income Reference Price – Eine Formel für fairen Handel

Woraus setzt sich ein existenzsicherndes Einkommen zusammen und was steckt hinter dem Begriff? Ein Mittel zu seiner Berechnung findet sich als Formel im Fairtrade Living Income Report. Das Einkommen muss demnach die Kosten einer nachhaltigen Produktion sowie eines angemessenen Lebensstandards decken. Rechnet man beides zusammen, wird das Ergebnis durch die Fläche des Anbaulandes bzw. die Anzahl verkaufsfähiger Produkte geteilt. Damit ergibt sich der Preis, den Produzent*innen für ihre Produkte bekommen müssen, um über ein existenzsicherndes Einkommen zu verfügen. 2019 wurde das Konzept konkret auf die beiden Rohstoffe Kakao und Vanille angewandt.

In der Elfenbeinküste und Ghana – den beiden wichtigsten Kakaoexporteuren der Welt – wurde ein Referenzpreis von 2.100 bzw. 2.200 US-Dollar pro Tonne errechnet. Schokoladenhersteller wie Tony’s Chocolonely oder Oxfam Fair Trade und große Handelspartner wie die REWE-Gruppe zahlen diesen Preis bereits. Dadurch verbessern sich die Einnahmen der beteiligten kleinbäuerlichen Kakaokooperativen und ihrer Mitglieder. Darüber hinaus legten die Regierungen beider Länder einen Preisaufschlag für Kakao ab Oktober 2020 fest und positionierten sich damit klar gegenüber der Kakaoindustrie: Wer Kakao importieren will, muss einen angemessenen Preis dafür zahlen.

Vanille stammt vorrangig aus Madagaskar und Uganda, ist jedoch ein deutlich knapperer Rohstoff als Kakao. Fairtrade International hat für diese Länder einen Referenzpreis von 16,60 € bzw. 15,60 € pro Kilogramm errechnet, der 2019 veröffentlicht wurde und aktuell bei Vertragsverhandlungen im Import-Export-Geschäft als Richtlinie fungiert. Die zugrunde liegenden Studien wurden initiiert von der Sustainable Vanilla Initiative und gefördert von Ben & Jerry’s. In dieser Kooperation wird deutlich, wie die verschiedenen Akteure aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammenarbeiten können.

Pilotprojekte zum existenzsichernden Einkommen

Wenn es um wirtschaftliche Interessen geht, kann und muss Lobbyarbeit für soziale Gerechtigkeit betrieben werden. Dementsprechend wurde 2019 eine Arbeitsgruppe gegründet, die ein existenzsicherndes Einkommen auf wirtschaftlich-politischer Ebene vertritt und die Ziele von Fairtrade durch gezielte Lobbyarbeit in den öffentlichen Diskurs bringt. Internationale Plattformen für diese Arbeit sind zum Beispiel die World Cocoa Conference und die International Coffee Organization, aber auch auf EU-Ebene wird diskutiert.

Zudem wurden Kampagnen wie „67 cents“- in Belgien, „Break the System“ in den Niederlanden oder  „She deserves“ von der Fairtrade Foundation ins Leben gerufen, die sich für faire Preise, die Bekämpfung von Armut und Kinderarbeit in der Schokoladenindustrie und die Stärkung von Frauenrechten aussprechen. Im November wurde außerdem die erste internationale Konferenz zu existenzsicherndem Einkommen in Rotterdam veranstaltet. Unter dem Motto „The only way is up“ wurden Konzepte nachhaltiger Wirtschaft und gerechter Zusammenarbeit vorgestellt und diskutiert.

Besser wirtschaften mit dem „farm book of records“

Ein effizientes Hilfsmittel zur Verbesserung der Produktion und Koordination auf den einzelnen Farmen ist das sogenannte „farm book of records“ – ein einfach aufgebautes Haushaltsbuch für Kleinbäuerinnen und -bauern. Seit der Veröffentlichung 2019 schult es Produzent*innen in den Grundlagen der Buchführung und Verwaltung kleiner Betriebe. Die Dokumentation der eigenen Kosten etwa für Saatgut, Instandhaltung und Ernte in Bezug zum letztendlichen Ertrag dient der Verbesserung der gesamten Einnahmen. Das Buch fungiert dabei gezielt als Einstiegswerk, an dessen Ende eine selbstständige Buchführung durch die Kooperativen steht. Dazu gehört auch die „Ausbildung von Ausbildern“, um eine autarke Weitergabe des Erlernten zu ermöglichen. Das Buch wurde zunächst für Kaffee- und Bananenkooperativen konzipiert und deckt damit die beiden größten Produktkategorien ab. Das Ziel besteht darin, alle Erwachsenen eines Haushalts in die Buchführung und somit auch in die finanziellen Entscheidungen eines kleinbäuerlichen Betriebs mit einzubeziehen. Da Frauen in diesem Bereich bisher oft wenig Mitspracherecht haben, soll so ebenfalls ein Beitrag zu gerechteren Geschlechterverhältnissen geleistet werden.