Was ist dir dein Kaffee wirklich wert?

Wir lieben unseren Kaffee, doch sind wir auch bereit, den wahren Preis dafür zu bezahlen?

© Amy Botta / Fairtrade International

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass sich in der Kaffeeproduktion in den nächsten Jahrzehnten einiges ändern wird: Angefangen über die Auswirkungen des sich beschleunigenden Klimawandels, über steigende Kosten für Düngemittel und anderer Betriebsmittel, bis hin zum Wettbewerb um natürliche Ressourcen oder eine alternde Produzentengeneration, die kaum Nachfolgerinnen und Nachfolger finden. All dies sind komplexe Probleme, die der Durchschnittskonsument von Kaffee nicht lösen kann. Ein Faktor, der die zukünftige Kaffeeproduktion beeinträchtigt, kann jedoch von jedem Kaffeetrinker beeinflusst werden – der Preis!

Kaffee boomt – aber die Bauern verdienen weniger als einen Dollar pro Pfund

Die globale Kaffeeindustrie befindet sich in einer beispiellosen Preiskrise, die den meisten außerhalb der komplizierten Lieferketten weitgehend unbekannt ist. Der Weltmarktpreis des – nach Öl – am zweitmeisten gehandelten Rohstoffs der Welt ändert sich durchschnittlich alle drei Minuten. Grundsätzlich sind die Preisschwankungen auf Wetterereignisse, Kursschwankungen von Währungen oder die grundlegende Dynamik von Angebot und Nachfrage zurückzuführen.  
Das aktuelle Ausmaß der Preiskrise bei Kaffee hat aber eine andere Dimension. Es ist das Zusammenspiel verschiedener Marktmechanismen. Neben einem globalen Überangebot verschlimmern Lebensmittelspekulationen die Situation noch zusätzlich. Laut eines kürzlich veröffentlichten Marktberichtes des führenden Exporteurs Volcafe verkaufen fast 61 Prozent der Produzent*innen ihren Kaffee zu Preisen unter den Produktionskosten. Somit subventionieren die Kaffeeproduzent*innen das Wachstum des globalen Kaffeemarktes auf eigene Kosten.

Und dieser Markt wächst weiter. In einer Phase der zunehmenden Konzentration des Kaffeemarktes entfallen in jüngster Zeit mehr als 80 Prozent des weltweiten Umsatzes auf nur noch drei multinationale Unternehmen. Die wachsende Popularität von Kaffeepads und -kapseln hat den Wert von Röstern und Marken erhöht, wobei nur ein sehr geringer Teil der Wertschöpfung die Produzent*innen erreicht.  Während die globale Kaffeeindustrie inzwischen mehr als 200 Milliarden Dollar pro Jahr erwirtschaftet, hat sich das durchschnittliche Bauerneinkommen in den letzten 20 Jahren nicht verändert – unter Berücksichtigung der höheren Agrarkosten ist es sogar gesunken.

Neben den offensichtlichen wirtschaftlichen Auswirkungen niedriger Preise, gibt es erhebliche andere Auswirkungen: erhöhte Kinder- und Zwangsarbeit, verminderte Umweltverantwortung, Ernährungsunsicherheit, steigende Auswanderungsraten und geringere Kaffeequalität. Produzent*innen, die nicht in der Lage sind ihre Produktionskosten zu decken, können folgerichtig auch nicht in die notwendige Modernisierung ihrer Betriebe investieren. Die dadurch verminderte Kaffeequalität drückt die Kaffeepreise noch zusätzlich. Dieser Kreislauf der Armut treibt sowohl gegenwärtige als auch zukünftige Generationen von Kaffeeproduzent*innen in die Flucht – eine Dynamik, der wir uns stellen müssen, wenn Kaffee ein rentables Geschäft für alle Beteiligten der Wertschöpfungskette werden soll.

Wer in Zukunft Kaffee trinken möchte, sollte sich fragen: Was bin ich bereit zu zahlen, damit Kaffeeproduzent*innen ein existenzsicherndes Einkommen erhalten?

Ein existenzsicherndes Einkommen ist ein von einem Haushalt erwirtschaftetes Einkommen, das den Mitgliedern des Haushalts einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. Zu einem angemessenen Lebensstandard gehören unter anderem der freie Zugang zu Lebensmitteln, Wasser, Unterkunft, Bildung, medizinischer Versorgung, Beförderungsmitteln, Kleidung und die Befriedigung weiterer grundlegender Bedürfnisse wie Rücklagen für unvorhersehbare Ereignisse. Die Kosten für ein menschenwürdiges Leben sind abhängig von der der Größe und Lage des Haushalts. Für die Produzent*innen ist es das Nettoeinkommen, das zählt, da zunächst sämtliche Betriebskosten gedeckt sein müssen, bevor sie etwas für den Haushalt mit nach Hause nehmen können. So schätzt beispielsweise eine aktuelle Studie von Andersen und Anker ein existenzsicherndes Einkommen für einen Vier-Personen-Haushalt in Nordkolumbien auf rund 10.000 Dollar pro Jahr – was knapp 7 Dollar pro Person und Tag entspricht.

Wie erreichen wir ein existenzsicherndes Einkommen?

Die Strategie von Fairtrade ein existenzsicherndes Einkommen zu erreichen, beinhaltet die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität und den Verkauf von mehr Kaffee zu Fairtrade-Konditionen. Dabei ist ein fairer Preis der wichtigste Faktor. Bei dem derzeitigen Preisniveau ist es schlicht und ergreifend nicht möglich, sich aus dem Teufelskreis der Armut zu befreien. Stellen wir uns den vierköpfigen Haushalt der Produzentenfamilie in der Sierra Nevada de Santa Marta in Kolumbien vor, die eine Fläche von vier Hektar bewirtschaften. Selbst mit einem Jahresertrag von 1.500 Kilogramm Pergamentkaffee produziert dieser Haushalt beim aktuellen Weltmarktpreis einen Verlust. Der Preis müsste 1,40 Dollar pro Pfund betragen – statt weniger als einen Dollar – damit der Haushalt nicht unter der Armutsgrenze lebt.

Fairtrade ist das einzige globale Nachhaltigkeitssiegel, das einen Mindestpreis für Kaffee garantiert. Fairtrade-zertifizierte Kaffeeproduzentenorganisationen verdienen derzeit den Fairtrade-Mindestpreis von 1,40 Dollar pro Pfund – etwa 40 Prozent mehr als der aktuelle Marktpreis – oder 1,70 Dollar pro Pfund Bio-Kaffee. Darüber hinaus verdienen sie 0,20 Dollar pro Pfund über die Fairtrade-Prämie, von der mindestens 25 Prozent in produktivitäts- und qualitätssteigernde Maßnahmen investiert werden. Die anderen 75 Prozent investieren die Kooperativen in ökologische oder soziale Projekte ihrer Wahl. 2017 verdienten Fairtrade-Kaffeeproduzenten mehr als 94 Millionen Dollar an Prämien. Allerdings sind selbst diese besseren Fairtrade-Konditionen noch nicht ausreichend.

Nach den vorläufigen Schätzungen von Fairtrade International müsste der Exportpreis bei rund 2 Dollar pro Pfund liegen, damit ein vierköpfiger Bauernhaushalt in Kolumbien ein existenzsicherndes Einkommen erzielen kann – vorausgesetzt, es handelt sich um ein ertragreiches Jahr. Das ist das Doppelte des aktuellen Marktpreises und 43 Prozent mehr als der aktuelle Fairtrade-Mindestpreis.

Unser Appell: Beginne, indem Du mehr für Kaffee bezahlst

Wir brauchen dringend den gesamten Kaffeesektor sowie alle Kaffee-Liebhaber, um dieser Krise entgegen zu treten. Wir können nicht weiterhin die Augen vor der aktuellen Situation verschließen und müssen (fair) handeln.

  • In einem ersten Schritt müssen große Kaffeeunternehmen als Vorbild voran gehen und einen fairen Preis für die Bohnen zahlen. Fairtrade überarbeitet in diesem Jahr sein Kaffeestandard – dabei werden präzisere Richtwerte festgelegt, um so genannte „Living Income Reference Prices“ für Kaffee erzeugende Länder festzulegen. Diese Informationen werden dazu verwendet, weitere Schritte in Richtung existenzsichernder Löhne zu gehen – aber diesen Weg kann Fairtrade nicht allein gehen. Eine deutliche Anhebung des Fairtrade-Mindestpreises, ohne dass der Rest des Sektors mitzieht, könnte die Verkaufszahlen von Fairtrade-Kaffee deutlich reduzieren und somit die Situation der Fairtrade-Produzent*innen noch verschlimmern. Jeder muss also seinen Teil dazu beitragen, dass gerechte Einkommen erzielt werden – eben auch die Konsumenten.
  • Zweitens brauchen die Produzent*innen Unterstützung, um ihre Erträge und Qualität nachhaltig zu erhöhen. Dies erfordert Investitionen, zum Beispiel um Flächen mit schädlingsresistenten Kaffeesorten neu zu bepflanzen oder Trocknungsanlagen zu bauen. Die Fairtrade-Prämie stellt Mittel für solche Investitionen zur Verfügung, allerding müssen die Verbraucher*innen die Nachfrage schaffen, damit zertifizierte Kaffeekooperationen ihre gesamte Ernte zu Fairtrade-Konditionen verkaufen und somit vom Fairtrade-System profitieren können.
  • Drittens können engagierte Unternehmen mit Fairtrade zusammenarbeiten und Projekte entwickeln, die zu einem existenzsichernden Einkommen beitragen. Dazu gehören Maßnahmen, die die Kaffeequalität und Erträge erhöhen oder freiwillige Preiserhöhungen, um sich einem existenzsichernden Einkommen anzunähern.

Außerdem müssen Regierungen Druck auf Unternehmen ausüben, damit sich nachhaltigere Lieferketten etablieren können – einschließlich fairer Preise für die Kleinbauern. So fordert TransFair die Bundesregierung beispielsweise auf, die „Kaffeesteuer“ für fairen Kaffee abzuschaffen.
Fairtrade-Kaffee hat derzeit einen globalen Marktanteil von ungefähr 2 Prozent. Somit bietet der Markt noch großes Potenzial, um nachhaltige Lieferketten zu schaffen. Klar ist, dass es für jede nachhaltige Entwicklung unerlässlich ist, den Produzent*innen einen angemessenen Lebensunterhalt zu zahlen.
Was würde multinationale Kaffeekonzerne motivieren, einen Teil ihrer Gewinnspanne aufzugeben?
Abgesehen davon, dass es das Richtige ist, den Produzent*innen einen fairen Preis zu zahlen, ist es außerdem auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll. So lange keinen fairen Bedingungen für die Menschen am Anfang der Lieferkette geschaffen werden, werden wir alle verantwortlich für den Rückgang der Kaffeeproduktion sein. Die Produzent*innen müssen in der Lage sein, unseren Kaffee im Einklang mit der natürlichen Umwelt zu produzieren und gleichzeitig müssen sie die Mittel besitzen, um ihre grundlegendsten Lebensbedürfnisse zu sichern. Ist dies nicht möglich, können sie nicht weiter produzieren.

Also, was ist dir der Kaffee Wert? Für die Kleinbäuerinnen und -bauern bedeutet er alles.