„Viele Kaffeeproduzent*innen sind besorgt“

Nur ein Jahr ist es her, dass Jaquelina Vivanco, Mitarbeiterin des Fairtrade-Produzentennetzwerks CLAC, bei ihrem Besuch in Deutschland von den Herausforderungen im Kaffeeanbau berichtet hat. Heute stehen Produzent*innen einer ganz neuen Krise gegenüber: der Corona-Pandemie.

Kaffeebäuerin Olga Alvarado und CLAC-Mitarbeiterin Jaquelina Vivanco beim Fairtrade-Kongress 2019 in Köln.

Im Gespräch mit Fairtrade Deutschland erzählt Jaquelina, wie sich der Alltag in den Kaffeeanbauländern in den vergangenen Monaten verändert hat und welche Hürden die Pandemie mit sich bringt.

Wie hat sich der Alltag der Menschen in Mexiko durch die Corona-Krise verändert?

In ganz Mexiko sind die Schulen noch immer geschlossen. Der Alltag, vor allem das Leben zu Hause, hat sich sehr verändert; Frauen sind plötzlich nicht nur Mutter, sondern auch Lehrerin und Beraterin für ihre Kinder. Wo es eine Internetverbindung gibt, findet der Unterricht virtuell statt. Wer kein funktionierendes Internet hat, empfängt Teleunterricht über das staatliche Fernsehen. Was die Arbeit der Fairtrade-Kooperativen betrifft, so analysieren diese die Ansteckungsgefahr in den einzelnen Regionen ständig aufs Neue. Einige Länder arbeiten beispielsweise mit einem Ampelsystem. Anhand dieses Systems planen die Genossenschaften ihre Arbeit und den Einsatz der Mitarbeitenden: Die eine Gruppe kümmerte sich um die Geschäftspartner, die anderen um den Verkauf. Außerdem ergreifen alle Organisationen di entsprechenden sanitäre Schutzmaßnahmen.

Was sind die größten Sorgen der Kaffeebäuerinnen und -bauern, wenn sie an die nächsten Monate denken?

Wir haben viele Gespräche mit Kooperativenmitgliedern geführt, die eine ganze Reihe von Ängsten haben. Vor allem die Ungewissheit auf den Märkten und bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern bereitet den Menschen im Kaffeeanbau Sorgen. Die meisten haben ihren Kaffee für dieses Jahr bereits geerntet und verkauft, aber es ist die ungewisse Zukunft, die viele beunruhigt. Die Nachfrage auf dem mexikanischen Markt hat deutlich nachgelassen. Die Pandemie destabilisiert die Wirtschaft in Lateinamerika, was die Genossenschaften wiederum verunsichert.

Wie hat sich der Arbeitsalltag für dich und deine Kolleg*innen verändert?

Die CLAC folgt der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation und hat sowohl Auslandsreisen als auch Reisen in das Landesinnere bis auf weiteres ausgesetzt. Das ganze Team musste sich neu organisieren: Um die Kooperativen zu unterstützen, bieten wir viele virtuelle Workshops, Online-Seminare und telefonische Beratungsangebote an. Die größten Herausforderungen dabei sind schlechte Internetverbindungen und die hohen WLAN-Kosten in vielen lateinamerikanischen Ländern. Zudem sind wir nicht die Einzigen, die plötzlich online kommunizieren. Alle Akteure mit denen die Genossenschaften zu tun haben, kommunizieren virtuell, was dazu führt, dass die Leitungen vollkommen überlastet sind.

Ab dem 15. September werden wir voraussichtlich wieder reisen und die Kaffeebauern und -bäuerinnen vor Ort besuchen dürfen – natürlich immer mit Blick auf die aktuellen Bedingungen und Risiken in den einzelnen Regionen und Länder. In den letzten Monaten haben wir einige Materialien erstellt, zu Themen, die für die Genossenschaften von Interesse sind. Außerdem haben wir ein Pilotprojekt durchgeführt, um Gleichberechtigung in Honduras zu fördern. Um die Übung in anderen Ländern wiederholen zu können, haben wir das Projekt mit den übrigen Kollegen und Kolleginnen im Netzwerk geteilt.

Insgesamt hat sich unser Arbeitsalltag in den vergangenen Monaten drastisch verändert. Ziele und Vorgaben mussten überprüft und der Plan für 2020 entsprechend angepasst werden. Unsere Erwartungen mussten wir reduzieren und neue Mechanismen schaffen, um den Bedürfnissen der Kaffeebäuerinnen und Kaffeebauern gerecht zu werden.

Welchen Unterschied macht Fairtrade / der faire Handel während der Pandemie?

Der faire Handel macht einen großen Unterschied. Beispielsweise durch den Fairtrade-Hilfsfonds, der die gestiegenen Produktionskosten deutlich aufgefangen und die Genossenschaften finanziell entlastet hat, sodass sie ihre Zertifizierungen bezahlen konnten. Die Einführung von Sicherheitsprotokollen hat dazu beigetragen, die Ansteckung einzudämmen. Für Familien, die Angehörige durch Covid-19 verloren haben, hat Fairtrade die Beerdigungskosten übernommen. Selbst bei den Zertifizierungen wurden zum Teil Ausnahmeregelungen geschaffen – das zeugt von großer Sensibilität den Produzentinnen und Produzenten und der aktuellen Situation gegenüber.

Was braucht es jetzt, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen?

Wir müssen die Kooperativen noch stärker fördern, denn sie sind wichtig, um die lokale Wirtschaft am Laufen zu halten. Wir sollten sie unterstützen, damit sie Projekte zur Ernährungssicherheit oder Ernährungssouveränität umsetzen können. Außerdem müssen wir den Konsum von fairem Kaffee weiter fördern – noch mehr als in der Vergangenheit.