Wer zahlt, um Kinderarbeit im Kakaoanbau zu beenden?

Der Geschäftsführer von Fairtrade International, Darío Soto Abril, erklärt, warum der faire Handel zur Norm werden muss, um gegen Kinderarbeit in der westafrikanischen Kakaoproduktion vorzugehen.

Ein Beitrag von Darío Soto Abril, CEO Fairtrade International

Ghana und Côte d'Ivoire produzieren zusammen jedes Jahr etwa 60 Prozent des weltweiten Kakaos. Dabei verlassen sie sich allerdings auf Kinderarbeit. Dies ist die harte Realität der Kakaoindustrie.

Als Teil des Harkin-Engel-Protokolls veröffentlichte das National Opinion Research Center (NORC) am 19. Oktober Ergebnisse einer Studie: In Ghana und der Côte d'Ivoire sind mehr als 1,48 Millionen Kinder in gefährlicher Kinderarbeit tätig. Fairtrade geht davon aus, dass diese Zahl wahrscheinlich noch höher liegt, je nach Auslegung von Mindestalter, gefährlicher und ausbeuterischer Kinderarbeit.

Ungeachtet der unterschiedlichen Berechnungen sind diese Zahlen schockierend, insbesondere weil die Verpflichtung des Harkin-Engel Protokolls zur Verringerung der Kinderarbeit 19 Jahre alt ist. Leider sind diese Zahlen für den fairen Handel nicht überraschend. Seit 2009 arbeiten wir mit Nachdruck daran, dieses Problem anzugehen – und das nicht nur in der Kakaoindustrie.

Mitarbeitende der vom US-Arbeitsministerium finanzierten NORC-Studie kamen mit der Nachfrage auf Fairtrade International zu, Erkenntnisse über das Problem der Kinderarbeit in dieser Region zur Verfügung zu stellen. Denn Fairtrade hat im Laufe der Jahrzehnte verschiedene Programme initiiert, viel über die Grundursachen gelernt, wichtige Erkenntnisse aus Rückschlägen gewonnen und unseren Ansatz immer wieder angepasst, um integrative und nachhaltige Lösungen zu finden. Gerne haben wir unser Wissen für die Studie zur Verfügung gestellt.

Kinderarbeit hat viele Ursachen

Was wir zweifellos wissen: Es gibt nicht nur eine Ursache für Kinderarbeit im Kakaosektor, sondern viele komplexe und voneinander abhängige Gründe. Armut, niedrige Löhne, Arbeitskräftemangel, schlechte Arbeitsbedingungen, schwaches Engagement der Regierung, Mangel an wirkungsvollen Bildungsmöglichkeiten, unsichere Schulen, Ausbeutung und Diskriminierung, politische Unruhen und Konflikte – und jetzt auch die Auswirkungen von COVID-19 – tragen alle zu Kinderarbeit in der westafrikanischen Kakaoproduktion bei.

Armut und Diskriminierung gehören zu den wichtigsten Faktoren. Wenn Bäuerinnen und Bauern in Armut gefangen sind, können sie es sich nicht leisten, in effizientere Methoden zur Verbesserung ihres Einkommens zu investieren und greifen stattdessen auf die billigsten Formen der Kinderarbeit zurück.

Lösung kann nur durch eine Kombination von Ansätzen erreicht werden

Die NORC-Studie kommt zum Schluss, dass eine Kombination von Initiativen oder Interventionen erforderlich ist, um Kinder von gefährlicher Arbeit weg und in Schulen oder Jugendprogramme zu bringen. Dem stimmen wir zu. Deshalb ist beispielsweise die Fairtrade-Prämie wichtig, die zusätzlich zum Mindestpreis gezahlt wird.  Die Kleinbauernorganisationen entscheiden selber, wofür das Geld eingesetzt wird, denn sie wissen am besten, welche Bedürfnisse in ihren Gemeinden bestehen: beispielsweise Schulen zu bauen, um den Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen.

Im Jahr 2019 hat Fairtrade sowohl den Mindestpreis als auch die Prämie für Kakao um 20 Prozent angehoben, um die Kakaobauern näher an ein existenzsicherndes Einkommen heranzuführen. Fairtrade hat ein Programm entwickelt, das Jugendliche und die Gemeinden in die Überwachung und Beseitigung von Kinderarbeit und/oder Zwangsarbeit einbezieht (Youth Inclusive Community Based Monitoring and Remediation). Dieses wurde in einer Reihe von Ländern und bei verschiedenen Produktsparten weltweit erprobt. In den westafrikanischen Pilotprojekten konnten so Fälle von ausbeuterischer Kinderarbeit identifiziert und den nationalen Schutzabteilungen zur Weiterverfolgung gemeldet werden.

Freiwilligkeit alleine reicht nicht – wer zahlt für die Lösung?

Freiwillige Zertifizierungen spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die Rahmenbedingungen für die Rechenschaftspflicht von Handelspartnern und Produzenten zu entwerfen und umzusetzen, welche die gesetzlichen Anforderungen ergänzen, und dringend benötigte Unterstützung vor Ort zu leisten.
Es wird immer deutlicher, dass freiwillige Lösungen nicht ausreichen. Bei der Lösung sind alle Akteure der gesamten Lieferkette gefordert – von den Gesetzgebern bis hin zu den Schokoladenliebhabern:

  • Die Regierungen im Norden müssen die westafrikanischen Regierungen in ihren Bemühungen unterstützen, Projekte gegen Kinderarbeit zu koordinieren, umzusetzen und zu verbessern. Die westafrikanischen Regierungen sollten weiterhin die Mindestlöhne für Kakaoarbeiter überprüfen und überarbeiten.
  • Regierungen im Norden müssen für alle Unternehmen Vorschriften zur Sorgfaltspflicht in Bezug auf Menschen- und Umweltrechte erarbeiten, die für alle Akteure gleiche Ausgangsbedingungen schaffen.
  • Produzentenorganisationen müssen die Überwachung und Beseitigung von Kinderarbeit durch die Gemeinden einführen (community-involved), um Kinder, die aus Kinderarbeit befreit werden, zu unterstützen.
  • Unternehmen müssen darauf hinarbeiten, Beschäftigte, Bäuerinnen und Bauern fair zu bezahlen, und sich verpflichten, Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten zu identifizieren und zu beenden.
  • Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen weiterhin das Bewusstsein schärfen und sich dafür einsetzen, wirksame alternative Projekte mit und für Jugendliche anzubieten, die Zugang zu Einkommen ermöglichen.
  • Die Konsumentinnen und Konsumenten müssen von Schokoladenherstellern und Einzelhändlern die Einhaltung der Sorgfaltspflicht fordern. Sie müssen Produkte kaufen, die ein stabiles Einkommen für Kakaobäuerinnen und -bauern ermöglichen.

Es darf keine weiteren 20 Jahre dauern, bis der faire Handel von der Ausnahme zur Norm wird.