NDR-Sendung „Inside Aldi“: Die Sicht von Fairtrade

Eine NDR-Doku setzt sich kritisch mit Fairtrade-Rosen auseinander, die von Aldi Süd und Aldi Nord verkauft werden. Fairtrade zeigt die Antworten, die dem NDR zwar vorliegen, die jedoch nicht in der Dokumentation berücksichtigt wurden.

Fairtrade-Rose aus Kenia. Copyright: FAIRTRADE Österreich, Georges Desrues

Im Rahmen der Dokureihe „Inside Aldi“ blickt der Fernsehsender NDR kritisch auf die Rosen von Fairtrade-zertifizierten Blumenfarmen in Kenia und Äthiopien, die Aldi Süd und Aldi Nord in Deutschland vertreiben. Dabei wurde Fairtrade mit Vorwürfen konfrontiert, die laut dem Reportageteam von Mitarbeiter*innen von Blumenfarmen geäußert wurden, sowie mit Pestizidbefunden, die laut NDR aus einer Untersuchung im Auftrag des Senders stammen.

Fairtrade begrüßt grundsätzlich konstruktive Kritik, die zur Verbesserung des Systems beiträgt. Kein Zertifizierungssystem der Welt kann die hundertprozentige Einhaltung aller Standards zu jeder Zeit versprechen. Die Einhaltung der Standards wird bei Fairtrade allerdings streng und regelmäßig durch die unabhängige Zertifizierungsorganisation FLOCERT vor Ort überprüft.

Die Vorwürfe des NDR basieren allerdings zum größten Teil auf Aussagen von einzelnen Mitarbeiter*innen von Blumenfarmen vor Ort. Problematisch ist das unter anderem deshalb, weil einerseits Aussagen nicht überprüft werden können und ebenfalls nicht klar ist, ob etwa suggestive Fragen gestellt wurden. Dennoch gehen wir den Inhalten der Aussagen nach und sind bereits im Austausch mit unserem Fairtrade-Produzentennetzwerk vor Ort sowie mit der Kontrollorganisation FLOCERT.

Dass Fairtrade positive Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Blumenarbeiter*innen in Ostafrika hat, belegen verschiedene Studien. Demnach erhalten Blumenarbeiter*innen auf Fairtrade-zertifizierten Farmen höhere Löhne und haben bessere Arbeitsbedingungen als Arbeiter*innen auf nicht-zertifizierten Farmen. Zusätzlich hat Fairtrade eine wichtige Rolle vor Ort in der Unterstützung von Arbeitsrechten und Geschlechtergerechtigkeit.

Zu den einzelnen Themenkomplexen, die in der NDR-Dokumentation aufgeführt werden, hat Fairtrade der Redaktion die folgenden Informationen zur Verfügung gestellt, die allerdings größtenteils im Film nicht berücksichtigt wurden:

Pflanzenschutzmittel und Fairtrade-Rosen

  • Um die Gesundheits- und Umweltrisiken durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, enthalten die Fairtrade-Standards eine umfassende Liste verbotener Wirkstoffe (Hazardous Materials List, HML), die gemäß aktueller Entscheidungen von Genehmigungsbehörden regelmäßig überarbeitet wird. Keines der 14 vom NDR gefundenen Pestizide ist verboten.
  • Dass gleichzeitig verschiedene Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, hat vor allem den Grund, Resistenzbildungen gegen einzelne Wirkstoffe zu vermeiden oder zu umgehen. Verglichen mit anderen Tests, bspw. durch das Magazin Ökotest im Frühjahr 2023, ist die Anzahl der gefundenen Wirkstoffe im normalen Rahmen verglichen mit den letzten Ökotest-Untersuchungen. So wurden beispielsweise keine Neonikotinoide festgestellt, die sonst häufig eines der Hauptwirkstoffe und -probleme darstellen. Ebenfalls gibt es keine Hinweise auf kritische Metabolite.
  • Fairtrade strebt an, den Gebrauch von chemisch-synthetischen Pestiziden zu minimieren. Neben der Verbotsliste passiert das beispielsweise durch mechanische Vorsorge oder den Einsatz von Nützlingen. Die kontinuierliche Reduktion von Pestiziden ist auch Teil der Fairtrade-Standards für Blumen. Pestizid-Rückständen auf Schnittblumen sind per se nicht illegal, da es weder in der EU noch in Deutschland Grenzwerte für Pestizidrückstände auf Schnittblumen gibt, was daran liegt, dass Blumen keine Nahrungsmittel sind.
  • Fairtrade-zertifizierte Farmen sind bestrebt, den Einsatz von Chemikalien auf ein Minimum zu beschränken, da sie sich auf den integrierten Pflanzenschutz konzentrieren, bei dem Krankheiten und Schädlinge so weit wie möglich mit natürlichen Feinden und biologischen Mitteln bekämpft werden. 
  • Der Wunsch nach makellosen Schnittblumen macht den Anbau ohne Pestizide quasi unmöglich. Von Bio-Rosen ist man weit entfernt. Zu groß sind die Risiken eines Komplettausfalls oder die Ablehnung nicht makelloser Ware durch Handelspartner.
  • Im Mittelpunkt steht für Fairtrade der Schutz der Arbeiter*innen. Bezüglich Pflanzenschutzmitteln unter anderem durch den richtigen Umgang und die sichere Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln ausschließlich durch speziell geschultes Personal, sichere Lagerung, verpflichtende Schutzkleidung, strenge Sperrzeiten in Gewächshäusern, regelmäßige medizinische Untersuchung der Sprayer. Hierzu gehören ebenfalls regelmäßige Aufklärung und Trainings zur sicheren Nutzung von Pflanzenschutzmitteln und Sperrzeiten sowie Erste-Hilfe-Kurse.

Anwesenheit von Mitarbeiter*innen im Gewächshaus

  • Den Vorwurf, Mitarbeiter*innen sollen im Gewächshaus während des Sprühens von Pestiziden anwesend gewesen sein, weisen die Blumenfarmen strengstens zurück. Nach den Fairtrade-Standards ist dies ohnehin streng verboten. Es müssen genau festgelegte Sperrzeiten/Karenzzeiten eingehalten werden, bevor Mitarbeiter*innen die Gewächshäuser nach dem Sprühen wieder betreten dürfen. Wird von Mitarbeitenden gesprüht, müssen diese Schutzanzüge und entsprechendes Equipment tragen. Lediglich beim Einsatz von Nützlingen, die für die Gesundheit unbedenklich sind, kann es passieren, dass Arbeiter*innen im Gewächshaus anwesend sind.

Fairtrade-Prämien-Projekt: Schule in Äthiopien

  • Mit der durch den Verkauf der Blumen erwirtschafteten Fairtrade-Prämie werden in Äthiopien die Unterhalts- und Erweiterungskosten einer Schule finanziert. Der NDR behauptet, dass bei der Auswahl der Kinder, die auf diese Schule dürfen,Töchter und Söhne von Managern bevorzugt würden. Dies ist bei der großen Anzahl von Schüler*innen (insgesamt 7000) sehr unwahrscheinlich. Zudem stammen 50% der Schüler*innen aus den örtlichen Gemeinden oder sind Kinder von Mitarbeiter*innen anderer Blumenfarmen; lediglich 50% haben Eltern, die bei Sher arbeiten.

Wasserverschmutzung in Äthiopien

  • Der NDR zitiert einen Umweltwissenschaftler von der Hawassa-Universität in Äthiopien, der sich mit der Wasser- und Bodenqualität rund um den Ziway-See beschäftigt. Die Forschenden haben dort bedenkliche Stoffe im Wasser und im Boden identifiziert. Dabei handelt es sich um Rückstände einiger giftiger Chemikalien, die offenbar auch über Pflanzenabfälle in die Umwelt gelangt sein könnten. Ein Zusammenhang mit der Sher-Blumenfarm wird impliziert.
  • Eine Untersuchung aus dem November 2021 von der Beratungsfirma GIRDC im Auftrag der örtlichen Basin Development Authority (BOA) und des Rift Valley Lakes Basin Development Office (RVLBDO) stellte jedoch fest, dass für die Rift Valley Seen in Äthiopien Umweltrisiken vor allem durch den unkontrollierten und massiven Einsatz von Düngemitteln und Chemikalien durch die vielen kleineren Landwirtschaftsbetrieben der Region entstehen. Die Umweltverschmutzung findet auch aufgrund des Mangels an Abfallentsorgung (fest und flüssig) in den umliegenden Städten und Dörfern statt.  Ohne eine konkrete Untersuchung und Beweislast gegen eine spezielle Farm finden wir es unverantwortlich, einen Zusammenhang als Tatsache darzustellen.
  • Abschnitt 4.4., "Water Quality Status", auf Seite 33 des Hauptberichts befasst sich mit der Wasserqualität des Ziway-Sees und kommt zu dem Schluss, dass die Qualität aufgrund saisonaler Einflüsse schwanken kann. Allerdings (Zitat): „Das Wasser des Ziway-Sees erfüllt die von der WHO, der FAO und der MOWIE festgelegten Wasserqualitätsnormen für Trinkwasser, Erholung/Baden, Bewässerung und Viehtränken, da TDS, EC, Härte, Bikarbonat, Alkalinität, Fluorid, Chlorid, Natrium usw. innerhalb der zulässigen Grenzen liegen.“
  • Blumenfarmen verbrauchen durch gezielte Tröpfchenbewässerung jährlich lediglich 1,5 bis 2% der verfügbaren Wassermenge in der Region um den Ziway-See. Bei Sher in Äthiopien kommt ein Anteil des Wassers zudem aus Regenwasserspeichern. Das größte Problem in dieser Hinsicht ist die unkontrollierte und unerlaubte Wassernutzung durch lokale kleine und mittlere Produzent*innen mit ineffizienten Bewässerungsmethoden (Furchen).
  • Die Fairtrade-Standards verlangen von zertifizierten Blumenfarmen ein nachhaltiges Wassermanagement, Abwasserreinigung, einen Abfallwirtschaftsplan und eine nachhaltige Nutzung von organischem Abfall wie anschließendes Kompostieren zur Wiederverwertung in der Produktion.  

Bezahlung / Löhne der Mitarbeiter*innen

  • Der NDR kritisiert die von der Blumenfarmen gezahlten Löhne als zu niedrig. Die Löhne, die auf Fairtrade-Blumenfarmen gezahlt werden, liegen nachweislich über den Durchschnitt der Region und der Branche und entsprechen Fairtrade-Standards. Gleichwohl ist klar: Das Lohnniveau auf Blumenfarmen bleibt eine Herausforderung – sowohl für konventionelle Farmen als auch für zertifizierte. Wir von Fairtrade sind uns bewusst, dass wir diesen Zielen noch nicht so nah sind, wie wir es gerne wären: Die Branchenlöhne im Blumensektor sind niedrig und Fairtrade-zertifizierte Farmen könnten nicht am Markt bestehen, wenn nur sie allein verpflichtet wären, die Löhne für ihre Beschäftigten auf ein sogenanntes existenzsicherndes Lohnniveau anzuheben, nicht aber die gesamte Schnittblumenindustrie. Es müssen gleiche Ausgangsbedingungen für die ganze Branche geschaffen werden.
  • Fairtrade-zertifizierte Farmen verpflichten sich zu regelmäßigen Lohnerhöhungen. Seit 2017 gibt es außerdem einen Basislohn, den alle Mitgliedsfarmen als Minimum zahlen müssen. Für zertifizierte Blumenfarmen und die dort Beschäftigten sind das wichtige Schritte. Insbesondere in Äthiopien (und Uganda) hat dieser Schritt zu signifikanten Lohnsteigerungen geführt: Neue Wirkungsstudie: Fairtrade hat positive Auswirkungen auf das Leben von Blumenarbeiter*innen in Ostafrika. Für branchenweite Lösungen arbeitet Fairtrade zudem mit Gewerkschaften zusammen, die bezüglich Löhnen eine zentrale Rolle spielen, und beteiligt sich aktiv in den relevanten Branchenforen wie der Living Wage AG bei der Floriculture Sustainability Initiative.
  • Uns ist wichtig: Die ArbeiterInnen und Arbeiter auf Blumenfarmen im globalen Süden dürfen nicht allein gelassen werden. Handel, Importeure und auch Verbraucher*innen sind gefordert, denn Verbesserungen gibt es nicht zum Nulltarif. Es liegt in der Verantwortung der gesamten Industrie, hier endlich flächendeckende Lohnerhöhungen für alle Arbeiter*innen zu ermöglichen.