"Sicherheit kannten wir früher nicht"

Bio-Baumwolle als Chance für bessere Einkommen

Für Kleinbauernfamilien mit nur wenigen Hektar Land ist es schwierig, auf dem Baumwollmarkt Fuß zu fassen. Weil die Farmer*innen in Odisha, im Osten Indiens,  so arm sind, dass Agrarchemie nicht für sie in Frage kommt, eröffnete sich mit Fairtrade eine unerwartete Chance im Biosektor.

Eigentlich ist es schon viel zu heiß für die Feldarbeit. Wenn die Sonne am späten Vormittag mit voller Kraft auf Falame Bhois Baumwollfeld scheint, haben die Nachbar*innen ihre Arbeit im Reis längst beendet. Aber in der angenehmen Morgenkühle sind die Baumwollbäusche noch nass vom Tau. Der muss erst wegtrocknen, bevor die Frauen mit der Ernte beginnen können. „So ist das halt, wenn man Baumwolle anbaut. Aber sie verschafft uns ein gutes Einkommen. Da nehmen wir die Arbeit in der Hitze gerne in Kauf.“ Falame zuckt mit den Schultern und zupft mit flinken Fingern die weichen, weißen, aus ihren Kapseln quellenden Wattebäusche und stopft sie in einen Sack.

Letzter Ausweg: Landflucht

Falame ist 32 Jahre alt und Mutter von drei Kindern. Sie lebt im ländlichen Odisha, einem der östlichen Bundesstaaten Indiens. Der Landstrich ist arm, bis auf die Ziegeleien mit ihren ungesunden und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen gibt es hier kaum Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Wer kann, verlässt sein Stückchen Land und sucht in einer von Indiens schnell wachsenden Metropolen nach Arbeit. Auch Falame wäre fast gegangen. „Es gab hier zwar früher schon Baumwolle, aber weil man sie nur an die Mittelsmänner verkaufen konnte, die uns betrogen haben, hat sich der Anbau nicht gelohnt“, erinnert sich die Bäuerin. „Aber dann kamen 2011 die Leute von Pratima Agro Organic und fragten, ob wir nicht Bio-Baumwolle für sie produzieren wollen. Dafür gäbe es feste Abnehmer, die faire Preise bezahlen.“ Pratima Agro Organic ist eine von drei Fairtrade-zertifizierten Kooperativen in Indien, die Bio-Baumwolle anbauen.

So schwierig die Lebensumstände in dem armen Landstrich auch sind – die Umstellung auf Bio-Anbau war ohne große Hürden möglich. Nicht zuletzt, weil die Gegend so abgelegen ist, dass noch kein Vertreter für gentechnisch verändertes Saatgut und Agrarchemikalien seinen Weg dort hergefunden hatte. Hinzu kommt die große Armut der Region: In Odisha sind die Menschen schlichtweg zu arm, um an den Kauf von Mineraldünger oder Pestizide denken zu können. Ausgerechnet darin lag ihre Chance.

Aus Versehen Bio-Anbau

„Die Farmer haben längst Bio-Landwirtschaft betrieben, ohne sich je darüber Gedanken gemacht zu haben“, meint B.K. Pati von Pratima Agro Organic. „Alles, was noch fehlte, waren die Zertifizierung und entsprechende Schulungen dazu, wie sich die Erträge auf natürliche Weise steigern lassen.“ Heute liefern rund 10.000 Kleinbauern ihre Fairtrade zertifizierte Biobaumwolle über Pratima Agro Organic nach Deutschland. Die meisten haben nur zwei, drei Hektar Land, manche sogar weniger. Mit so kleinen Ernten kann ein einzelner Bauer selbst auf dem fairen Markt nur schwer über die Runden kommen. Aus diesem Grund ist der Zusammenschluss in Gruppen und die gemeinsame Organisation so wichtig. Gemeinsam lernten die Bäuerinnen und Bauern alles Wichtige zum Bioanbau.

„Wir hatten zum Beispiel einen Workshop, in dem es um Mischkulturen ging“ erzählt Falame und zeigt auf die Linsen, die zwischen ihrer Baumwolle wachsen. „Sie düngen mit ihren Blättern den Boden. Außerdem haben wir jetzt selber immer einen guten Vorrat an Nahrungsmitteln und manchmal sogar so viel, dass wir etwas davon verkaufen können.“ Die Bäuerin steht nicht alleine auf dem Feld, zwei Nachbarinnen pflücken gemeinsam mit ihr. „Wir unterstützen uns in der Gruppe immer gegenseitig, so muss niemand Geld für Erntehelfer ausgeben. Außerdem ist es auch viel netter, wenn man sich unterhalten kann.“

„Dank Fairtrade gibt es sauberes Trinkwasser"

Die Gruppe ist ein fester Bestandteil im Leben der Frauen geworden. Falame ist ihre Vorsitzende und leitet die Zusammenkünfte. Bei den wöchentlichen Treffen zahlt jede einen kleinen Betrag in die Kasse ein. Anfangs waren es fünf Rupien – heute sind es 100, umgerechnet etwa 1,10 Euro. Alleine diese Steigerung zeigt, wie sehr sich die wirtschaftliche Situation der Frauen verbessert hat. Jedes Mitglied kann auf die gemeinsamen Ersparnisse zurückgreifen, etwa, wenn Krankenhausrechnungen zu bezahlen sind oder andere Notfälle auftreten. „Das gibt uns Sicherheit. So etwas kannten wir früher nicht“, meint Falame und die anderen nicken. Die Gruppe entscheidet auch darüber, wie die Fairtrade-Prämie verwendet werden soll. „Wir haben damit für das Dorf einen Wassertank mit Pumpe angeschafft, so, dass wir jetzt im ganzen Dorf sauberes Trinkwasser haben“, erklärt sie.

50 Grad sind im Sommer Normalität

Wasser ist ein großes Thema, nicht nur in Odisha, sondern überall in Indien. Es wird heißer, und, wenn es nicht gerade Sturzregen und Überschwemmungen gibt, immer trockener auf dem Subkontinent. Das, was die Pumpe zu Tage fördert, reicht zwar, um die Haushalte zu versorgen, aber nicht für die Bewässerung der Felder. „Wir brauchen dringend bessere Böden, die fruchtbarer sind und mehr Wasser halten können. Deshalb werden wir in den nächsten Jahren Schulungen zu Kompost und Mulch anbieten und wollen in Zukunft auch Agroforstsysteme einführen“, erklärt B.K. Pati die Pläne von Pratima Agro Organic.

Auch Falame spürt die Veränderungen durch den Klimawandel. Inzwischen erreicht das Thermometer im Sommer regelmäßig 50 Grad und selbst nachts bleibt es heiß. Weil die Hälfte der Baumwollsamen nicht aufgeht, braucht sie die doppelte Menge an Samen. „Der Kauf des Saatguts verursacht die höchsten Kosten für uns. Deshalb sind wir sehr froh, dass es von Pratima Agro Organic vorfinanziert wird und wir nicht zu Kredithaien gehen müssen.“ Weil sie über Fairtrade gute und vor allem gesicherte Preise für ihre Ernte bekommt, ist die Rückzahlung kein Problem. Seit sie Bio-Baumwolle anbaut, hat die Familie auch genug Geld für Investitionen. Die Größte Investition war ein Traktor, den der 15-jährige Sohn Bishnu stolz vorfährt. Noch wichtiger ist für Falame allerdings etwas ganz anderes: „Dank des besseren Einkommens können wir unseren Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen. Meine Tochter geht jetzt ins College und mein Sohn besucht die Oberstufe. Beides wäre ohne Fairtrade nicht möglich.“