Die Klima-Uhr tickt

Im Vorfeld einer weiteren UN-Klimakonferenz fordert Fairtrade die Regierungen erneut zu konkreten Maßnahmen auf... denn die Zeit läuft davon

Der Klimawandel bringt neue Schädlinge und Pflanzenkrankheiten mit sich - wie La Roya, ein Pilz, der Kaffeepflanzen befällt. San Miguel del Faique, Piura, Peru. Foto: Fairtrade / Eduardo Martino

Der Klimawandel bringt neue Schädlinge und Pflanzenkrankheiten mit sich - wie La Roya, ein Pilz, der Kaffeepflanzen befällt. San Miguel del Faique, Piura, Peru. Foto: Fairtrade / Eduardo Martino

Von Juan Pablo Solis, Senior Advisor für Klima und Umwelt, Fairtrade International

Im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ aus dem Jahr 1993 spielt Bill Murray den Hauptprotagonisten Phil Connors, einen menschenfeindlichen und zynischen Wetterfrosch aus Pennsylvania, der dazu verdammt ist, den 2. Februar immer wieder zu erleben, bis sein ethischer Kompass vollständig korrigiert ist. Der Film ist eine Komödie, die vom Absurden lebt. Aber er ist auch eine Warnung vor den Gefahren des Stillstands - davor, wie Untätigkeit die Mechanismen des Lebens völlig zum Erliegen bringen kann.  

In ähnlichem Sinne nähert sich die Welt der bevorstehenden Klimakonferenz der Vereinten Nationen 2022, der COP27, mit einem Déjà-vu-Gefühl. Zwar hat sich der Schauplatz wieder einmal geändert - in diesem Jahr werden die Mitgliedstaaten, Klimaaktivist*innen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft im ägyptischen Badeort Sharm El Sheikh zusammenkommen -, doch der Zweck des Treffens hat sich nicht geändert: Es geht darum, einen Klimabeschluss herbeizuführen, der die globalen Temperaturen unter der Schwelle von 1,5°C hält. Die Aufgabe bleibt jedes Jahr dieselbe, die Dringlichkeit nimmt jedes Jahr zu.

Auch für Fairtrade und die Fair-Handels-Bewegung wird die COP27 ein weiterer Tag im Murmeltierland sein. Nach unserem Engagement auf der COP26 im vergangenen Jahr im schottischen Glasgow, wird die Fairtrade-Bewegung erneut darauf drängen, unser globales Handelssystem zu reformieren und gleichzeitig den Kleinbäuerinnen und -bauern und Landarbeiter*innen in aller Welt, die unter der globalen Klimakrise zu leiden haben, entscheidende finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen.

Denn von der Produktion bis zum Verbrauch ist der internationale Handel heute einer der Hauptverursacher des Klimawandels. Vor allem aber ist er ungerecht und wälzt die Auswirkungen des Klimawandels auf diejenigen ab, die am stärksten davon betroffen sind und am wenigsten für unseren klimatischen Status quo verantwortlich sind. 

Genauso ist es nämlich: Kleinbäuerinnen und -bauern, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Arbeitnehmer*innen in einkommensschwachen Ländern, in denen fair gehandelte Waren produziert werden, tragen am wenigsten zu den Treibhausgasemissionen bei, leiden aber am meisten unter den oft katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels. 

Klimahilfen müssen Kleinbäuerinnen und -bauern zugutekommen

Das ist aber nicht die Zukunft, die wir wollen, und es ist nicht die Zukunft, für die wir arbeiten. Deshalb rufen wir auf der COP27 erneut im Namen von gut 2 Millionen Farmer*innen aus über 70 Ländern die Mitgliedstaaten und ihre führenden Politiker*innen auf, endlich zu handeln. Wir fordern die reichen Länder auf, die bis Ende 2022 versprochene Klimahilfe in Höhe von 100 Milliarden Dollar zu leisten und konkrete Strategien zu entwickeln, um gefährdeten Gemeinschaften bei der Bewältigung der durch den Klimawandel verursachten Verluste und Schäden zu helfen. Von diesen 100 Milliarden Dollar an Klimafinanzierung kommen derzeit weniger als 2 Prozent bei den Kleinbäuerinnen und -bauern an. Das ist inakzeptabel. 

Wir rufen außerdem alle Mitgliedstaaten auf, nachhaltige Partnerschaften zu unterstützen, zu ermöglichen und zu fördern. Unserer Erfahrung nach sind Partnerschaften effektiver, wenn Farmer*innen und KMU im Mittelpunkt der Entscheidungsfindung stehen. Unsere Klimaarbeit im Rahmen des Sankofa-Projekts, einer Partnerschaft mit Coop, dem Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), der Schweizer Plattform für nachhaltigen Kakao (SWISSCO) und der dänischen Agentur für internationale Entwicklung (DANIDA), hat beeindruckende Ergebnisse im Sinne der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) 13 und 17 erbracht. Sie fördert den Schutz der biologischen Vielfalt durch die Anpflanzung einer Vielzahl von Bäumen und Nahrungspflanzen zur Verbesserung der Bodengesundheit und zur Bindung von CO2-Emissionen. Die Kohlenstoffbindung durch diese Maßnahmen führt dazu, dass die Landwirt*innen in Zukunft CO2-Zertifikate für diese Bäume erhalten und damit handeln können. Für Fairtrade und unsere Partner bedeutet die Ausweitung ähnlicher Partnerschaften einen tiefgreifenden und positiven Impact auf die Gemeinden der Bäuerinnen und Bauern.  

Handelspolitik und Handelsabkommen im Sinne der Schwächeren

Das reicht aber noch nicht. Wir wissen, dass die Auswirkungen der Klimakrise für die lokalen Gemeinschaften in einkommensschwachen Ländern bereits in Form von noch nie dagewesenen Hitzewellen, verheerenden Dürren, verstärkten Wirbelstürmen und zerstörerischen Regenfällen spürbar sind. Daher wird die Fair-Handels-Bewegung die führenden Politiker*innen der Welt daran erinnern, dass die Handelspolitik gefährdeten Communities ermöglichen muss, in wichtige Anpassungstechniken und Mechanismen zu investieren, die die Klimaauswirkungen mindern, und gleichzeitig Entwicklungsergebnisse, regionale Integration und einen besseren Marktzugang zu fördern. Außerdem werden wir unserem Appell Nachdruck verleihen, dass die Handelspolitik eine entscheidende Rolle dabei spielen muss, sicherzustellen, dass mehr Wertschöpfung bei Farmer*innen, KMU und Arbeitnehmer*innen ankommt, um existenzsichernde Einkommen und Löhne zu ermöglichen. 

Darüber hinaus müssen alle Handelsabkommen durch verbindliche und durchsetzbare Anforderungen ein klares Bekenntnis zu den Menschenrechten, den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und dem Pariser Abkommen enthalten. Nur so können wir Handel, Entwicklung und Umwelt als Teil der Lösung für die Klimakrise zusammenbringen.

Schließlich werden wir auch auf die Einführung robuster Maßnahmen drängen, um Unternehmen zu bestrafen, die sich nicht an die Klimavorschriften halten, und um sicherzustellen, dass Kleinbauern, KMU und Arbeitnehmer bei den Kosten, die Maßnahmen zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht verursachen, finanziell unterstützt werden. Sie dürfen nicht mit den Kosten einer Klimakrise allein gelassen werden, die sie nicht verursacht haben. Verbindliche rechtliche Rahmenbedingungen müssen so gestaltet und durchgesetzt werden, dass sie ein nachhaltiges Wirtschaften fördern, unlauteren Wettbewerb verhindern, die Ausbeutung von Gemeinden und Natur stoppen und den Betroffenen Schutz ihrer Rechte und Zugang zu Rechtsmitteln garantieren.

Es ist unfair, die Kosten unserer Klimakrise auf die Schultern der schwächsten Bevölkerungsgruppen des Planeten abzuwälzen. Deshalb fordert die weltweite Fair-Trade-Bewegung die Durchsetzung öffentlicher Klimaverpflichtungen und die Rechenschaftspflicht der Handelsakteure für ihre Klimaversprechen. 

Kleinbäuerinnen und -bauern, Arbeiter*innen und KMU sind Teil der Klimalösung. Die Zukunft unseres Planeten hängt davon ab, dass wir uns bewährte Alternativen zu den derzeitigen Produktionsmustern zu eigen machen, Investitionen für gerechtere Übergänge Priorität einräumen und die Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel und zur Eindämmung des Klimawandels noch in diesem Jahrzehnt ausbauen.

Am 6. November werden Fairtrade und die Fair-Trade-Bewegung in Sharm El Sheikh zusammenkommen, um den Kreislauf des Stillstands und des Geredes zu durchbrechen und von den Mitgliedstaaten und ihren führenden Politikern wichtige Klimaziele für die Kleinbäuerinnen und -bauern und Landarbeiter*innen der Welt zu erreichen. Nur durch konzertiertes Handeln der reichsten Nationen der Welt werden wir in der Lage sein, den Murmeltiertag zu durchbrechen und endlich die existenziellen Klima-Herausforderungen für die Schwächsten unter uns anzugehen.   

Wir müssen gemeinsam handeln, und wir müssen jetzt handeln, denn es gibt keine Klimagerechtigkeit ohne Handelsgerechtigkeit.

Übersetzung des Artikels "There can be no climate justice without trade justice" - zuerst erschienen bei VoxEurop