Neue Studie zur Wirkung von Fairtrade

Die Langzeit-Folgestudie zu der im Jahr 2012 erschienenen Studie „Die Wirkung von Fairtrade auf Armutsreduktion durch ländliche Entwicklung“ liefert neue Erkenntnisse über die langfristige Wirkung von Fairtrade.

Titelblatt der CEval-Studie zur Wirkung von Fairtrade auf Armutsreduktion durch ländliche Entwicklung

Die Langzeit-Folgestudie liefert neue Erkenntnisse über die langfristige Wirkung von Fairtrade.

In einer breit angelegten Studie untersuchte das Centrum für Evaluation (CEval) im Jahr 2012, inwiefern der faire Handel einen Beitrag zur Armutsminderung und zu einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung leistet. Jetzt veröffentlichte CEval die aktuelle Folgestudie mit dem Titel „5 Jahre später – Die Wirkung von Fairtrade auf Armutsreduktion durch ländliche Entwicklung (Link)“. Im Rahmen dieser Studie konnten erstmals Daten über einen langen Zeitraum bei den selben Produzentenorganisationen erhoben werden, die es zur Wirkung des fairen Handels in dieser Form  bislang nicht gab. So konnte die Studie nachweisen, dass Fairtrade Bäuerinnen und Bauern effizient stärkt, indem durch die Unterstützung die wirtschaftliche Situation stabilisiert, das Fachwissen gestärkt und Impulse für einen umweltschonenden Anbau gegeben werden.

Gestärkte Widerstandsfähigkeit und neue Bedrohungen

„Die Feldforschung zeigte, dass Fairtrade über die Kontinente hinweg dazu beiträgt, die Widerstandsfähigkeit von Kleinbauern zu stärken“ so Tatjana Mauthofer, Projektmanagerin der CEval GmbH. Der faire Handel leiste „einen entscheidenden Beitrag, wirtschaftlich marginalisierte Gruppen in ländlichen Regionen des Südens zu unterstützen“. Zudem zeigt die Studie deutlich, dass der Klimawandel die kleinbäuerliche Landwirtschaft bedroht und ein beständiger Preisdruck, insbesondere in der Bananenbranche, anhaltende und ernstzunehmende Herausforderungen sind. Darüber hinaus ist die Landflucht ein sich stetig zuspitzendes Problem: Mangels anderer Einkommensquellen und finanziellen Rückhalts sind viele Kleinbäuerinnen und Kleinbauern gezwungen, nach Ernteausfällen durch bspw. starke Regenfälle oder Tornados den Betrieb einzustellen und in die Städte abzuwandern. Ähnliches ist im Falle ihrer Kinder erkennbar: Statt den elterlichen Betrieb mühsam und unter permanentem Risiko aufrechtzuerhalten, sucht sich der Großteil lieber einen sichereren Job in den Städten.

Methodik

Das CEval-Institut wählte einen komparativen Aufbau für die Studie: Fairtrade-Produzentenorganisationen wurden einer jeweiligen Vergleichsgruppe gegenübergestellt. Das Untersuchungsteam führte im Rahmen der Erhebungen vor Ort unter anderem 89 Fokusgruppen-Diskussionen, 70 Einzelinterviews auf Managementebene, 19 Interviews mit Arbeiter- und Farmer-Vertretern sowie 12 teilnehmende Beobachtungen durch.

Untersuchungsbereiche

Es gab drei übergeordnete Untersuchungsbereiche, zu deren Aspekten die teilnehmenden Personen befragt und auf die die Beobachtungen fokussiert wurden: Ökonomie (z.B. Einkommen, Zugang zu Krediten, Infrastruktur), Soziales (z.B. Arbeiterrechte, Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, Sicherheit) und Umwelt (z.B. Erhalt der Biodiversität, Schutz von Wasser und Böden, Ressourcen-Management). Dabei stellt der letztere Untersuchungsbereich insofern eine Besonderheit dar, als ökologische Fragestellungen in Studien zu Fairtrade bisher kaum untersucht wurden.
Insgesamt wurden sechs Fallstudien auf drei Kontinenten durchgeführt. Im Fairtrade-System gibt es drei relevante  Organisationsformen von Produzentinnen und Produzenten: Bei Kooperativen handelt es sich um demokratische Zusammenschlüsse von Kleinbäuerinnen und -bauern, die ihr eigenes Land bewirtschaften. Plantagen dagegen sind Großbetriebe mit lohnabhängigen Beschäftigten, und der Vertragsanbau bezeichnet einen Zusammenschluss kleinbäuerlicher Produzenten, die noch nicht in einer Kooperative organisiert ist, aber bereits feste Vertragspartner regelmäßig beliefert und mit diesen eng kooperiert. Die Fairtrade-Studie untersuchte im Rahmen dieses Modells einen Betrieb in Indien, der kurz davorsteht, seine Organisationsform in eine Kooperative zu überführen.
Die untersuchten Produktkategorien waren Kaffee, Blumen, Kakao, Bananen, Baumwolle und Tee, und umfassen damit die wichtigsten Fairtrade-Produkte. Für die Studie wurden die bereits in 2012 definierten Produzentenorganisationen aus Peru, Indien, Ghana und Kenia ausgewählt, welche diese Produkte anbauen.

Ergebnisse der Folgestudie

Im Folgenden eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse aus den Untersuchungen:

Blumen in Kenia (Plantage)
Wie bereits in der Basisstudie von 2012 festgestellt, investiert die Fairtrade-zertifizierte Blumenfarm einen Großteil der Fairtrade-Prämien in den Bildungssektor. Die Beschäftigten sind mehrheitlich Gewerkschaftsmitglieder und schätzen die gestiegenen Einflussmöglichkeiten gegenüber dem Arbeitgeber durch die Gewerkschaftsbildung. Zudem sind die Arbeiterinnen und Arbeiter gut über ihre Rechte informiert.  Dennoch fällt es den Arbeiterinnen und Arbeitern trotz gestiegener Löhne schwer, die Lebenserhaltungskosten langfristig zu decken.

Kakao in Ghana (Kooperative)
Neben einer stetigen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Bäuerinnen und Bauern profitieren diese auch von dem vielseitigen Fairtrade-Weiterbildungsangebot, in welchem ihnen Themen wie nachhaltige Landwirtschaftspraktiken und Arbeitssicherheit nähergebracht werden. Dagegen haben die konventionellen Bäuerinnen und Bauern aus der Vergleichsgruppe nur begrenzt Zugang zu staatlichen Weiterbildungsmaßnahmen. Beiden Gruppen war gemein, dass nach wie vor hoher Bedarf besteht, die Kakaofarmen zu modernisieren. Es fiel zudem auf, dass die Kinder der Kakaobäuerinnen und -bauern weiterführende Schulabschlüsse anstreben und eine bessere Bildung und Beschäftigungen außerhalb des Kakaosektors der landwirtschaftlichen Arbeit vorziehen.

Kaffee in Peru (Kooperative)
Die in dieser Fallstudie untersuchte Kooperative erlitt durch eine Kaffeerost-Epidemie („La Roya“; Pilzbefall) ihrer Kaffeepflanzen in den Jahren 2012 und 2013 erhebliche finanziellen Schäden. Neben der dadurch entstandenen hohen Verschuldung schwächte der Preisabfall im Kaffeemarkt die Mitglieder der Kooperative zusätzlich. Während die Fairtrade-Kooperative die Krise allmählich zu überwinden scheint, mussten viele konventionelle Kooperativen den Betrieb gänzlich einstellen oder sich auflösen. Zudem praktizieren nicht-Fairtrade-zertifizierte Produzentinnen und Produzenten vermehrt umweltschädliche Anbaumethoden.

Bananen in Peru (Kooperative)
Durch Fairtrade konnten zwei von vier Fairtrade-Kooperativen zu starken und widerstandsfähigen Zusammenschlüssen heranwachsen, die vermehrt als selbständige Akteure agieren und Partnerschaften mit anderen Stakeholdern eingehen. Diese wirtschaftliche Robustheit fehlt zumeist den nicht-zertifizierten Kooperativen, die ihre Mitglieder in Notsituationen nicht ausreichend unterstützen können. Staatliche Hilfe erreicht diese Bedürftigen nur vereinzelt. In der Fallstudie fiel auch auf, dass die Kinder von Fairtrade-Produzentinnen und -Produzenten höhere Bildungsabschlüsse anstreben und sich von der Landwirtschaft abwenden. Zudem zeigt der Klimawandel bereits merkliche Auswirkungen und wird auch in Zukunft zunehmend die Ernten beeinträchtigen.

Baumwolle in Indien (Vertragsanbau)
Eine stetige Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, insbesondere gegenüber der Vergleichsgruppe, konnte auch hier festgestellt werden. Ein entschiedener Marktvorteil der untersuchten Produzentinnen und Produzentinnen ist die konsequente Bio-Qualität, in der von Beginn an produziert wurde. Diese ermöglicht es ihnen, einer Abhängigkeit von genmanipuliertem Saatgut multinationaler Unternehmen aus dem Weg zu gehen. Dagegen beklagten die konventionellen Produzentinnen und Produzenten aus der Vergleichsgruppe die starken Preisschwankungen auf den lokalen Märkten und gaben an, dass ausbeuterische Kinderarbeit während der Erntezeit üblich ist. Dies ist bei Fairtrade nicht der Fall. Zudem investiert der Fairtrade-zertifizierte Zusammenschluss in eine bessere Wasserversorgung.

Tee in Indien (Plantage)
Bei der Fallstudie zu Tee wurde keine nicht-Fairtrade-zertifizierte Vergleichsplantage gefunden, die zu einer Teilnahme bereit war. Dies ist auf politische Instabilität in der Region sowie erhöhte Skepsis gegenüber Forscherinnen und Forschern zurückzuführen. Wegen der überdurchschnittlich restriktiven gesetzlichen Rahmenbedingungen kann Fairtrade kann seine Wirkung nicht ausreichend entfalten. Das hat zur Folge, dass sowohl Pflückerinnen und Pflücker von Fairtrade-zertifizierten als auch von nicht-zertifizierten Plantagen unter geringen Einkommen leiden. Gleiche Anteile von Frauen und Männern sowie verstärkte Teilhabe im Fairtrade-Prämienkomitee sind dagegen positiv aufgefallen.

Empfehlungen (Auswahl):

An alle Beteiligten entlang der Lieferketten

  • Investitionen aller Beteiligten der Lieferkette in den Klimaschutz erhöhen, um Produzentinnen und Produzenten zu entlasten.
  • Erleichterung von finanzieller Unterstützung für Produzentinnen und Produzenten durch Stakeholder in Krisenzeiten (z.B. durch zweckgebundene Fonds): Es ist nicht nur Aufgabe der Produzentenorganisationen, sich langfristig finanziell abzusichern. Gleichermaßen müssen sich alle anderen Beteiligten entlang der Lieferkette, also NGOs, Unternehmen, Handelspartner usw. in die Widerstandsfähigkeit der Produzentinnen und Produzenten im globalen Süden investieren.

An die Produzentenorganisationen (PO)

  • Bessere Perspektiven für nachfolgende Generationen schaffen: Die Mehrheit der Kinder von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern strebt einen höheren Abschluss und einen besseren Job in den Städten an. Die Auswirkungen zeigen sich auf zwei Seiten: Zum einen wird die ländliche Entwicklung gelähmt, und zum anderen weisen die urbanen Regionen nur begrenzte Kapazitäten auf, um die jungen Leute zu beschäftigen. Dies hat zur Folge, dass sie letztlich häufig in schlecht bezahlten und unqualifizierten Jobs beschäftigt werden und von diesen abhängig sind. Aus diesem Grund ist es unumgänglich, innerhalb des Landwirtschaftssektors Tätigkeitsbereiche zu schaffen, die den Talenten und Interessen die jungen Leute gerecht werden – was derzeit nicht der Fall ist, wie die Untersuchungen ergaben. Dagegen kann zum Beispiel in Peru beobachten werden, dass durch Kaffeebars, Kaffee-Tastings oder im Bereich der technischen Beratung neue Arbeitsbereiche für junge Leute entstehen – die gleichermaßen das Bedürfnis nach attraktiven, modernen Jobs befriedigen und den nationalen Kaffeesektor stärken.
  • Einkommensdiversifizierung der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern fördern: Um ihre wirtschaftliche Resilienz zu steigern, ist es für die Produzentinnen und Produzenten ratsam, ihr Einkommen nicht nur aus einer Quelle zu beziehen. So kann nicht nur einem finanziellen Ruin durch Ernteausfälle bei nur einer kultivierten Nutzpflanze vorgebeugt werden, sondern auch der zunehmend sichtbaren Landflucht: Aufgrund mangelnder Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten wandern viele Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in die Städte ab, um dort einen für sicher empfundenen sog. „White Collar”-Job auszuüben – dessen Entlohnung nicht von Wetterschwankungen und anderen Naturgewalten abhängig ist. Um den entgegenzuwirken, müssen die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aktiv aufgeklärt und durch technische sowie finanzielle (bspw. durch Mikrokredite) Unterstützung gefördert werden.

An die nationalen Fairtrade-Organisationen (NFO)

  • Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie Arbeiterinnen und Arbeitern durch langfristige Investitionen in Sozialversicherungen und Ernteausfallversicherungen stärken
  • Bessere Überprüfung der Effizienz und Nachhaltigkeit von durch die Fairtrade-Prämie finanzierten Maßnahmen
  • Weiterhin an Strategien zur Erhöhung des Fairtrade-Marktanteils in Konsumentenländern arbeiten
  • Aufdeckung sog. Geister-Kooperativen, die oftmals von Unternehmen initiiert werden, aber nicht den Vorgaben entsprechend strukturiert sind oder gar überhaupt keine Mitlieder vorweisen