Mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Textilindustrie

Die Modeindustrie beschäftigt weltweit mehrere Millionen Menschen. In vielen Ländern sind es vor allem Frauen, die unsere Kleidung herstellen – gerade in ungelernten und unterbezahlten Bereichen wie dem Bauwollanbau, der Entkörnung oder der Textilherstellung. Allein in Indien, einem der wichtigsten Textilproduzenten am Markt, sind je nach Region 60 bis 90 Prozent der Beschäftigten weiblich. Im Interview mit Textilexpertin Sethu Lakshmy Chakkenchath, die lange für Fairtrade gearbeitet hat, sprechen wir über die Herausforderungen, vor denen Textilarbeiterinnen dort stehen.

Sethu Lakshmy Chakkenchath war von 2018 bis vor wenigen Wochen Beraterin für das Fairtrade-Textilprogramm. Bild: Fairtrade / filmreif.biz / T. Kleinschmidt, J. Mende

Sethu Lakshmy Chakkenchath war von 2018 bis vor wenigen WochenBeraterin für das Fairtrade-Textilprogramm. Dieses Programm bietet Textilfabriken die Möglichkeit, den Arbeits- und Gesundheitsschutz in ihren Produktionsstätten Schritt für Schritt zu verbessern. Ein wichtiger Bestandteil sind Schulungen zum Thema Arbeitsrechte. Arbeiter*innen werden aufgeklärt und darin bestärkt, sich aktiv an Ausschüssen zu beteiligen und selbst zur Verbesserung in den Fabriken beizutragen.

Was bedeutet Geschlechtergerechtigkeit für dich?

Geschlechtergerechtigkeit bedeutet, dass beide – Frauen und Männer – die gleichen Möglichkeiten haben und ihre eigenen Entscheidungen treffen können. „Female Empowerment“ bedeutet nicht, dass Männer weniger Rechte haben sollen. Es geht um eine gleichberechtigte Teilhabe und darum, ein gesundes Umfeld zu schaffen, in dem beide Geschlechter zusammenarbeiten können.

Vor welchen Herausforderungen stehen insbesondere Frauen in der Textilindustrie?

Viele Frauen sind finanziell nicht in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen. Sie haben keinen Zugang zu dem Geld, das sie verdienen. Zum Teil werden sie für ihre Arbeit schlechter bezahlt als männliche Kollegen. In den Fabriken ist sexuelle Belästigung ein Problem. Aus Angst, die eigene Meinung zu sagen, werden Fälle in der Regel nicht zur Anzeige gebracht.

Und obwohl der Anteil von Frauen in Aufsichts- und Führungspositionen wächst, tut sich hier insgesamt noch zu wenig. In einigen Staaten Indiens sind die patriarchalen Strukturen noch immer so stark, dass Frauen gar nicht außerhalb des eigenen Haushalts arbeiten dürfen. 

Frauen, die doch außerhalb arbeiten, etwa in den Nähfabriken, hören oft auf, sobald sie Kinder bekommen. Zwar gibt es gesetzlich vorgeschriebene Betriebskindergärten, diese bieten aber selten ein gutes Betreuungsangebot. Die meisten Frauen geben ihre Arbeit lieber auf oder lassen die Kinder zur Betreuung bei Verwandten. Um diese Frauen zu unterstützen, müsste die Industrie sicherstellen, dass es Leistungen wie Elterngeld gibt. Und sie müsste Frauen ermutigen, nach der Geburt eines Kindes wieder zu arbeiten, indem sie die Kinderbetreuung verbessert, flexiblere Arbeitszeiten  und -aufgaben anbietet.

Du hast die letzten Jahre als Beraterin für Fairtrade gearbeitet. Dadurch hast du viele Fabriken von innen gesehen. Welchen Unterschied macht Fairtrade dort?

In der textilen Lieferkette sind Frauen meist als einfache Arbeiterinnen beschäftigt, während Männer in Aufsichts- und Führungspositionen sitzen. Mit der richtigen Ausbildung steigen Frauen jetzt nach und nach in höhere Positionen auf – gerade in Nähfabriken und Spinnereibetrieben. Das ist möglich, weil Fairtrade mit Arbeitnehmer*innen und Fabrikleitung zusammenarbeitet und dafür sorgt, dass sie Veränderung selbst in die Hand nehmen. Durch die enge Zusammenarbeit versteht Fairtrade die Herausforderungen vor Ort besser und kann gezielte Unterstützung anbieten. So wird ein  offenes und unterstützendes Arbeitsumfeld geschaffen, das weit über Audits hinausgeht: Denn am Ende geht es nicht nur um die Einhaltung von Gesetzen, sondern darum, die Mitbestimmung in den Fabriken zu erhöhen.

Wie können wir die Gleichberechtigung der Geschlechter in Zukunft vorantreiben?

Wir müssen sicherstellen, dass alle Mitarbeitenden auf der Grundlage ihrer Fähigkeiten und Talente eingestellt werden, und dass sie ungeachtet ihres Geschlechts die gleichen Chancen bekommen. Eine gezielte Förderung von Frauen würde helfen, damit sie Familie und Beruf besser in Einklang bringen können und der Job nicht nur dazu dient, das Familieneinkommen aufzubessern, sondern Frauen tatsächlich eine berufliche Laufbahn einschlagen können. 

Weitere wichtige Faktoren, die zu mehr Gleichberechtigung in den Betrieben führen, sind ein besserer Austausch untereinander, wirksame Beschwerdemechanismen, gleiche Beteiligungsmöglichkeiten und eine Betriebskultur, die von gegenseitigem Respekt geprägt ist.

Werde aktiv und unterstütze Geschlechtergerechtigkeit!

Gemeinsam mit anderen NGOs aus Europa unterstützt Fairtrade die „Good Clothes, Fair Pay“-Kampagne. Das Ziel: Innerhalb eines Jahres sammeln wir eine Million Unterschriften, damit Textilarbeiter*innen auf der ganzen Welt einen existenzsichernden Lohn erhalten. Erreichen wir diese Ziel, muss sich die Europäische Kommission mit unserem Vorschlag auseinandersetzen. Um das zu schaffen, brauchen wir deine Hilfe: Unterschreibe jetzt die Petition.

Seit 30 Jahren setzt sich Fairtrade für die Rechte von Produzent*innen in Afrika, Asien und Lateinamerika ein. Die Gleichberechtigung der Geschlechter spielt dabei eine wichtige Rolle: Studien zeigen, dass fehlende Geschlechtergerechtigkeit das größte Hindernis für die Weiterentwicklung von Gesellschaften ist – nicht nur in der Textilindustrie. Fairtrade fördert ausdrücklich die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Fairtrade-Organisationen und zwar auf allen Ebenen.

Erfahre mehr über die Gleichstellung der Geschlechter bei Fairtrade.