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Lieferketten sind Unternehmersache

FAIRTRADE Österreich-Geschäftsführer Hartwig Kirner zieht Bilanz über das zweite Pandemiejahr sowie seine Auswirkungen auf den fairen Handel und macht einen Ausblick auf das Lieferkettengesetz, mit dem sich Unternehmen zeitnah auseinandersetzen sollten.

Dieses Interview hat Nataša Nikolić am 30.12.2021 mit Hartwig Kirner für das Handelsmagazin CASH geführt. Hier kann man das Interview nachlesen. 

 

 

 


CASH: Herr Kirner, welche Themen haben Fairtrade im zweiten Pandemiejahr 2021 am meisten beschäftigt?
Hartwig Kirner: Die Themen Nachhaltigkeit, Klimawandel und Fairtrade haben schon 2020 sehr stark zugelegt. Das liegt einerseits am veränderten Konsumverhalten, aber auch daran, dass sich die Umsätze von der Gastronomie in den LEH verlagert haben, wo Nachhaltigkeit bislang einen deutlich höheren Stellenwert hatte – ich hoffe, dass die Gastronomie aber, sobald wieder Normalität einkehrt, diesem Aspekt eine höhere Relevanz beimessen wird. Wir haben zwar noch keine exakten Zahlen für 2021, aber ich denke, dass das Resümee für heuer ähnlich ausfallen wird, wenngleich eventuell weniger dynamisch als es im Vorjahr der Fall war, da wir von einem sehr hohen Niveau ausgehen. Beschäftigt haben uns viele Themen, am meisten die witterungsbedingten Ernteeinbrüche zum Beispiel im Kaffeeanbau, aber auch die Preisschwankungen in den Rohstoffmärkten, die sich in den einzelnen Warengruppen sehr unterschiedlich auswirken, sind natürlich wichtige Faktoren. 

Welche Warengruppen sind von den Kostensteigerungen am meisten betroffen und können die Fairtrade-Bauern in irgendeiner Weise davon profitieren oder ist es für sie sogar von Nachteil?
Aus derzeitiger Sicht wird die Kaffeeernte in Brasilien eher schlecht ausfallen, was aktuell die Preise in die Höhe treibt. Natürlich ist es gut für die Bauern, wenn die Preise steigen, aber da diese Steigerungen zumeist mit Ernterückgängen Hand in Hand gehen, haben sie wesentlich weniger Menge zu verkaufen. Gleichzeitig sind die Kosten für nahezu alle Input-Materialien gestiegen, wie Düngemittel, Pestizide und Transportkosten. Wenn der Preis für Rohkaffee wieder heruntergeht, bleiben diese Kosten voraussichtlich aber weiterhin hoch. Derzeit ist aber eine Preisrallye nach oben zu beobachten, der Rohkaffeepreis ist schon auf höchsten Stand seit 10 Jahren.

Wie sieht die Situation im Kakao-Bereich aus?
Beim Kakao sieht es ganz anders aus. Dort sind die Preise um fast 18 Prozent gesunken im Vergleich zu Oktober 2020. Leider wurde dem Druck der Industrie beziehungsweise den Marktgegebenheiten nachgegeben. Und das, obwohl aktuelle Studienergebnisse klar ergeben, wie wichtig höhere Kakao-Rohstoffpreise für die Einkommen der Kakao-Bauernfamilien sind. Im Jahr 2019 wurden die Fairtrade-Mindestpreise für Kakao um 20 Prozent angehoben, weil frühere Untersuchungen vor Ort ergeben haben, dass die Einkommenssituation der Kleinbauernfamilien immer noch sehr schlecht ist. Im Gefolge sind die Einnahmen der Fairtrade-Bauernfamilien um über 80 Prozent gestiegen.

Ist eine Zahlung des LID nicht verpflichtend, um den Kakao aus diesen Gebieten überhaupt beziehen zu können?
Doch, aber die Regierungen haben gleichzeitig die Preise gesenkt. Wir haben in dieser Produktgruppe leider keine freie Marktwirtschaft, sondern ein Oligopol von drei Konzerne, die den Markt kontrollieren und um die man nicht herumkommt. Die großen Kakaohändler und Süßwarenhersteller haben das in Ghana und der Elfenbeinküste eingeführte LID (Anm.: living income differential), das den Kakaopreis sichern soll, torpediert. Der Mehrpreis wird derzeit nicht gezahlt und der Preis liegt sogar deutlich unter dem Vorjahr. Das zeigt, wie viel die Aussagen dieser Unternehmen wert sind, die seit Jahren versprechen, dass sie in Zukunft nur mehr nachhaltig angebauten Kakao einkaufen wollen.
 

„Wenn ein Unternehmen immer nur den billigsten Weg geht, darf es sich nicht wundern, wenn in der Lieferkette Missstände passieren.“ 
Hartwig Kirner


Was bedeuten diese Schwankungen für den Fairtrade-Mindestpreis?
Wir haben derzeit einen Mindestpreis von 2.400 Dollar pro Tonne Kakao plus 240 Dollar Fairtrade-Prämie oben drauf. Wenn der Weltmarktpreis höher ist, muss natürlich der höhere Preis bezahlt werden, es gibt nur eine Deckelung nach unten, das heißt, sinkt der Weltmarktpreis, kommt der Fairtrade-Mindestpreis zum Zug.

Wie zufrieden sind Sie mit der Zusammenarbeit mit österreichischen Firmen im Kakao-Segment?
Kakao war die letzten Jahre eines unserer wichtigsten Produkte, die wir versucht haben, weiter voranzubringen. Wir haben vor zwei Jahren unseren Mindestpreis sowie die Fairtrade-Prämie um 20 Prozent angehoben. Das heißt, die Unternehmen mussten deutlich höhere Preise zahlen. Es freut mich umso mehr, dass nicht nur alle bisherigen Partnerfirmen bereit waren, das mitzutragen, sondern wir mit den Marken Manner, Ölz und Berglandmilch neue starke Partner gewinnen konnten, die trotzdem ganze Linien auf Fairtrade umgestellt haben.

Apropos mittragen: Ein großer Diskonter hatte Mitte Dezember eine Aktion bei Fairtrade-Bananen, die pro Kilo um 94 Cent statt um 1,89 Euro angeboten wurden. Wie kann sich das noch ausgehen?
Die Händler machen in dieser Produktgruppe eine Mischkalkulation über das ganze Jahr. Ich kenne die Kalkulation der Händler nicht im Detail, aber es ist nicht so, dass die Bauern dadurch weniger bekommen, denn der Fairtrade-Mindestpreis muss immer bezahlt werden.

Wie haben sich die Fairtrade-Blumen entwickelt und wie haben Sie hier die Diskussion rund um den Verkaufsstopp wegen der Lockdown-bedingten Schließung des Non-Food-Handels erlebt?
Diese Diskussion war meiner Meinung nach absolut sinnbefreit, denn anders als bei Fernsehern, die man alle paar Jahre kauft, ist es bei Blumen ganz anders. Wenn ich heute einen Blumenstrauß im Supermarkt kaufe, bedeutet das ja nicht, dass ich ihn nächste Woche im Blumenfachgeschäft nicht kaufen würde. Der Verkaufsstopp war daher für die Blumenfarmen sehr ärgerlich, die dadurch sehr viel Ware vernichten mussten.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Status des Lieferkettengesetzes?
Man kann davon ausgehen, dass das Lieferkettengesetz fix durchgeht und die Unternehmen sind gut beraten, sich damit auseinander zu setzen. Wie man im Kakao-Bereich sieht, ist das auch dringend notwendig, wenn sogar staatliche Initiativen torpediert werden.

Es gibt Stimmen in der Branche, die meinen, dass Unternehmen grundsätzlich nur für ihre eigenen Machenschaften verantwortlich gemacht werden sollten. Was entgegnen Sie diesen?
Ich finde, das ist ein sehr schwaches Argument, denn wer sollte sonst für die Zwischenfälle in der Lieferkette verantwortlich gemacht werden als Unternehmen? Konsumentinnen und Konsumenten haben weder ausreichend Informationen über die Lieferketten, noch die Möglichkeit, sie direkt zu beeinflussen. Wenn ein Unternehmen immer nur den billigsten Weg geht, darf es sich nicht wundern, wenn in der Lieferkette Missstände passieren. Mir ist natürlich klar, dass es für Unternehmen, die großen Lieferanten gegenüberstehen, nicht einfach ist. Wenn ich beispielsweise an den Bereich Textil- oder Elektrohandel denke, ist es sicherlich schwierig, Druck auf diese Lieferanten auszuüben. Es ist aber in jedem Fall wichtig, dass sich Unternehmen rechtzeitig mit ihren Lieferketten beschäftigen, um auf die bevorstehenden gesetzlichen Regulierungen vorbereitet zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch!