„Kaffee- und Schokoladenprodukte profitieren signifikant vom Siegel“

Wie wirkt sich das Fairtrade-Siegel darauf aus, wie Konsument*innen ein Produkt bewerten – und ist es beim Einkauf entscheidend? Mit dieser Frage hat sich Fairtrade-Deutschland an das Mainzer Marktforschungsinstitut Smartcon gewandt, das sich auf Innovation, Preisgestaltung und strategisches Marketingmanagement spezialisiert hat. Gemeinsam mit seinem Team hat Herr Prof. Dr. Oliver Kaul eine repräsentative Studie am Beispiel der Produkte Kaffee und Schokolade durchgeführt. Warum sich eine Siegelung nicht nur für Einstiegsmarken lohnt, welche Aspekte der Produktwahrnehmung besonders von Fairtrade profitieren und ob uns das Thema Nachhaltigkeit auch trotz Klima- und Wirtschaftskrise langfristig begleiten wird, das erzählt er im Interview.

Prof. Dr. Oliver Kaul vom Mainzer Martkforschungsunternehmen smartcon beim Handelspartnertreffen 2022. Foto: Fairtrade I Hanna Witte

Lieber Herr Professor Kaul, Sie haben für Fairtrade Deutschland eine Studie zum Thema „Wie wirkt das Fairtrade-Siegel auf die Wahrnehmung einer Marke?“ durchgeführt. Wie läuft die Konzeption einer solchen Studie ab?

Gerade in Zeiten, in denen viele Menschen den Gürtel enger schnallen müssen, fragen sich Unternehmen häufig, was Nachhaltigkeitssiegel bei der Produktwahrnehmung bringen. Welche Bedeutung haben Siegel für Produktkategorien, für Markenprodukte, aber auch für unterschiedliche Preissegmente? Ausgehend von dieser Fragestellung haben wir für Fairtrade Deutschland im ersten Schritt einen Online-Fragebogen entwickelt, der dann einer Gruppe von repräsentativen Haushalten zur Beantwortung vorgelegt wurde.

Repräsentative Befragung im experimentellen Design

Wie setzte sich die Gruppe zusammen, die befragt wurde?

Befragt wurden Menschen die mit- bzw. alleinverantwortlich für den Lebensmitteleinkauf in ihren Haushalten sind und regelmäßig Kaffee- und Schokoladenprodukte kaufen. Insgesamt haben wir 1625 Menschen befragt – einen repräsentativen Querschnitt durch die Bevölkerung in Deutschland, sowohl hinsichtlich Alter, Geschlecht, aber auch Lebenssituation. Über ein Drittel der Befragten waren Paare mit Kindern, etwa ein Viertel Paare ohne Kinder, 20 Prozent Singles in WGs und acht Prozent Alleinerziehende.

Welche Produkte wurden untersucht und nach welchen Aspekten? Wie wurde die Untersuchung durchgeführt?

Das Besondere an dem Aufbau der Studie war ihr experimentelles Design. Es wurden zwei Kategorien untersucht: ausgewählte Produkte aus dem Bereich Kaffee und ausgewählte Schokoladen-Produkte. Diese wurden je mit und ohne Siegel gezeigt. Wir haben dann die Teilnehmenden durch eine Art virtuelle Einkaufssituation laufen lassen. Das haben wir in jeweils drei Preiskategorien gemacht: in der Preiseinstiegskategorie, der mittleren Preiskategorie und der höheren Preiskategorie. Hinzu kam bei beiden Produkten noch ein Dummy – also ein unbekanntes Produkt einer nichtexistierenden Marke – um auszuschließen, dass die Ergebnisse auf eine Interaktion von Siegel und Marke zurückzuführen sind.

Wo liegen die Gemeinsamkeiten in der Wirkweise des Fairtrade-Siegels auf die Markenwahrnehmung bei den untersuchten Kaffee- und Schokoladenprodukten, wo finden sich Unterschiede?

Alle Dimensionen, wie beispielsweise Qualität, Markenvertrauen, Kaufgewissen, Mehrwert und Nachhaltigkeit des Produktes sind deutlich positiv belegt, sobald das Fairtrade-Siegel auf einem Produkt drauf ist. Drei profitieren jedoch besonders: Nachhaltigkeit, Kaufgewissen und Mehrwert des Produktes. Hier gibt es einen signifikant positiven Effekt – für Kaffee sogar noch etwas mehr. Das liegt daran, dass es sich bei Kaffee um einen Rohstoff handelt, kein verarbeitetes Produkt. Hier ist es den Konsument*innen bewusster, dass die Kaffeebohnen in der Packung von jemanden angepflanzt, gepflegt und gepflückt werden müssen. Bei diesem sehr naturnahen Produkt wirkt das Siegel also noch einmal stärker. Aber selbst bei einem verarbeiteten Produkt wie Schokolade lassen sich signifikante Effekte feststellen, auch wenn Schokolade noch andere Zutaten erhält und der Ursprung des Kakaos weniger klar nachvollziehbar ist für Konsument*innen als bei Kaffee.

Selbst Siegel-Unaffine vertrauen Fairtrade

Zieht sich das Ergebnis über alle Preiskategorien oder gibt es Unterschiede? Gerade bei Kaffee gibt es ja viele Konsument*innen, die sich einer Marke traditionell verpflichtet fühlen. Macht das Fairtrade-Siegel da Sinn?

In der Tat ist es sogar so, dass das Fairtrade-Siegel im Niedrigpreissegment bei Kaffee am allerstärksten positiv wirkt. Beim mittleren Preissegment wirkt es auch, da aber vor allem auf Kaufgewissen. Und dann wirkt es wieder signifikant im hohen Preissegment. Am deutlichsten ist der Effekt bei Einstiegsprodukten, die noch niemand kennt. Das lässt sich mit den Dummy-Produkten sehr gut belegen. Dort punktet das Siegel besonders stark. Bei hochwertigen Marken wird erwartet, dass diese einen höheren Fokus auf Nachhaltigkeit legen. Da satteln Siegel zwar weniger auf, sind aber dennoch als Rückversicherung sinnvoll. Bei unbekannten Produkten aus dem unteren Preissegment gibt es einen Überraschungseffekt. Die Konsument*innen denken sich: „ Das ist günstig, aber da ist ja das Fairtrade-Siegel drauf. Scheint vernünftig zu sein!“ Sie antizipieren also, dass der günstige Preis nicht auf Kosten der Produzent*innen oder der Umwelt erzielt wird. Das gilt übrigens nicht nur für Kaffee und Schokolade: Je stärker eine Marke wirkt, desto stärker wird auch das Thema Nachhaltigkeit vermutet. Je günstiger eine Marke wirkt, desto mehr lässt sich durch ein Siegel erreichen. Und da Fairtrade das bekannteste Siegel ist, bringt es dementsprechend den größten Mehrwert.

Sie haben die Wirkung des Fairtrade-Siegels auch mit der des Rainforest-Alliance-Siegels verglichen. Was lässt sich hierzu festhalten?

Einige der von uns getesteten Produkte tragen im Verkauf das Rainforest-Alliance-Siegel. Wir haben sie einmal in ihrem realen Verpackungsdesign getestet und einmal nur mit Fairtrade-Siegel. Auch hier sieht man, dass die Produkte besser abschneiden, wenn sie mit einem Fairtrade-Siegel gekennzeichnet sind. Auch das haben wir bereits zuvor in einer Studie feststellen können: Fairtrade ist bekannter als Rainforest Alliance. Hinzu kommt: Selbst Konsument*innen, die siegelaffin sind, wissen oft nicht, wofür die jeweiligen Siegel stehen. Nur eine kleine Minderheit kann den unterschiedlichen Siegeln die jeweiligen Aspekte zuordnen. Das Fairtrade-Siegel bildet dabei die einzige Ausnahme: Hier können Konsument*innen deutlich besser zuordnen, wofür das Siegel steht. Fairtrade hat es geschafft, sich in den Köpfen der Menschen festzusetzen. Und zwar nicht nur hinsichtlich der Bekanntheit und der Aktivitäten. Das liegt an der guten Arbeit, die Fairtrade leistet, und natürlich auch am klug gewählten Namen, der so selbsterklärend ist.

Bei welcher Gruppe von Konsument*innen schneiden Produkte mit dem Fairtrade-Siegel besonders gut ab, und wie relevant ist diese Zielgruppe gesamtgesellschaftlich?

Die Effekte, die wir in der Studie sehen, gelten für alle Altersgruppen und in durchaus ähnlichem Ausmaß. Auch hinsichtlich des Geschlechts oder der Lebenssituation gibt es hier keinen Unterschied. Was bei solchen Untersuchungen viel relevanter ist, sind die sogenannten „Lifestyle-Kriterien“. Wir haben uns die Einstellungen der Befragten angeschaut und sie danach geclustert: 42 Prozent haben keine besondere Affinität für Siegel und greifen bei ähnlichem Preis eher zum gesiegelten Produkt. Knapp 20 Prozent kaufen konsequent Siegel. Interessant ist: Selbst die Siegel-Unaffinen sind zu rund 40 Prozent dazu bereit einen höheren Preis zu zahlen, wenn sie dafür ein nachhaltigeres Produkt erhalten.

Nachhaltigkeit als Hygienefaktor

Das überrascht in diesen krisengeprägten Zeiten, die Inflation lässt Verbraucher*innen mehr als sonst auf Preise schauen. Wie relevant sind Nachhaltigkeitsaspekte da überhaupt noch bei Kaufentscheidungen?

Genau das haben wir in unserer kürzlich erschienen CSR-Barometer-Studie untersucht. Zunächst lässt sich festhalten: Nachhaltigkeit ist nicht weniger wichtig geworden, tatsächlich gewinnt sie sogar an Bedeutung. Jedoch werden andere Themen gleichzeitig auch wichtiger und sind momentan in der subjektiven Wahrnehmung dominanter. Wirtschaftliche Sorgen haben Sorgen rund um Klima und Co. etwas den Rang abgelaufen. Das bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass weniger nachhaltige Produkte gekauft werden. Viele Konsument*innen kaufen einfach bewusster ein und setzen gerade dabei dann auf Qualität. Meine Hypothese ist, und war es übrigens auch schon vor den Ausbruch des Krieges in der Ukraine, dass Nachhaltigkeit mehr und mehr zum Hygienefaktor wird. Das bedeutet, dass sie vorausgesetzt wird, vor allem bei höherpreisigen Produkten.

Bei welchen Produkten greifen Sie selbst zu solchen mit Fairtrade-Siegel?

Ich versuche grundsätzlich, bewusst zu konsumieren. Tatsächlich kaufe ich vor allem Blumen nachhaltig, also wenn möglich regional und sonst gern mit Fairtrade-Siegel. Da bin ich auch bereit, einen Aufpreis zu zahlen. Aber auch ansonsten finden sich in meinem Haushalt durch alle Kategorien hinweg vor allem solche Produkte, die nachhaltiger hergestellt wurden.