Diskussionspapier: Misereor fordert globale Verantwortung

Misereor richtet sich mit klaren Forderungen an die Bundesregierung.

Die Covid-19-Pandemie ist weit davon entfernt, überstanden zu sein. Dennoch herrscht in Deutschland aktuell ein Gefühl der Übergangsphase, die einhergeht mit langfristigen Überlegungen für die Zeit nach der Krise und die Forderungen nach systemischen Veränderungen. Das  Hilfswerk Misereor, Gründungsmitglied von TransFair e.V., hat jetzt ein Diskussionspapier veröffentlicht – und stellt klare Forderungen an die Bundesregierung.

Nationale Verantwortung übernehmen, internationale Solidarität beweisen

Misereor ist grundsätzlich zufrieden mit den von der Regierung ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in Deutschland, die weltweit als vorbildlich gilt. Das Hilfswerk betont jedoch, dass die Bundesregierung dabei ihre europäische und globale Verantwortung keineswegs vernachlässigen darf. Besonders in den Ländern des globalen Südens hat das Coronavirusdie Infektionswelle teilweise verheerende Folgen und lässt sich kaum effektiv bewältigen, denn „fehlende Kapazitäten und strukturelle Unterversorgung treffen vor allem die, die auch bisher schon Opfer einer fehlgeleiteten Globalisierung waren.“ Misereor fordert daher von der Bundesregierung, Druck auf EU und UN auszuüben und langfristige Maßnahmen im Kampf gegen ausbeuterische globale Verhältnisse zu ergreifen. Dazu gehört neben sofortigen Hilfspaketen ebenso die bedingungslose Einhaltung der Menschenrechte in der Krisenzeit. Nachhaltige Entwicklungsprojekte gilt es jetzt zügig anzuschieben und nicht hinter Belangen etwa der nationalen Wirtschaft verschwinden zu lassen.

Weg vom unethischen Turbo-Konsum

Misereor drückt diese Einstellung in konkreten Forderungen aus. In Post-Corona-Zeiten reiche es nicht aus, zum etablierten status quo zurückzukehren. Das Hilfswerk fordert faire Löhne entlang der gesamten Lieferkette. Zudem sollen hohe Einkommen stärker besteuert und Wettbewerbsvorteile, die auf ausbeuterischen Produktionsverhältnissen beruhen, grundsätzlich sanktioniert werden. Mit anderen Worten: Wer unethisch handelt und dadurch höhere Gewinne erzielt, soll von Staatsseite darin eingeschränkt und dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Produktion und Konsum sollen nicht mehr ausschließlich auf Kosten- und Zeitoptimierung ausgerichtet sein, was unweigerlich zu einem Kollaps der Lieferketten bei globalen Ereignissen wie der Pandemie führt. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, wie schnell Rücklagen verbraucht sind, Güter knapp werden und Preise für Schutzausrüstung in die Höhe schnellen. Stattdessen plädiert Misereor für eine entschleunigte, nachhaltige Produktion und das Bilden von Rücklagen in Staatshaushalten. Dazu gehört auch eine schrittweise und geplante Wiederbelebung der Weltwirtschaft, im Gegensatz zu einer schlagartigen Rückkehr zur Normalität.

Umweltschutz: Mehr als eine kurze Verschnaufpause

Nicht zuletzt betrifft das auch den Umweltschutz. Wie bei der Finanzkrise 2008/2009 wird auch die Corona-Krise zu einer kurzfristigen – sehr teuer erkauften – Reduktion von klimaschädlichen Treib-hausgasen führen. Was die Verheißungen eines „grünen Wachstums“ bisher nichtgeleistet haben, bewirkt der durch die Pandemie bewirkte Einbruch bei globaler Produktion und Konsum: einen Rückgang der ansonsten immer bedrohlicheren Umweltbelastungen und -zerstörungen. Statt nur mit möglichst hohen Wachstumsraten „die Konjunktur wiederzubeleben, ist es an der Zeit, Wege des Wirtschaftens einzuschlagen, die sich nicht an der Maximierung von Produktion, Konsum und Gewinn orientieren, sondern an einem Gemeinwohl, das alle Menschen weltweit in den Blick nimmt. Misereor appelliert daher an die Bundesregierung, auch während der schrittweisen Rehabilitation der Wirtschaft die Pariser Klimaziele und die Agenda 2030 zu berücksichtigen und sich der Umwelt genauso wie den Menschen gegenüber verantwortungsvoll zu verhalten.

Ab 1. Juli übernimmt Deutschland den Ratsvorsitz der EU. Die Möglichkeit, konsequent, verantwortungsbewusst und solidarisch zu handeln bietet sich mehr an denn je.