Bananenbauern trotzen der Tatenlosigkeit ihrer Regierung

Kolumbiens Bauern können nach blutigen Jahrzehnten des Bürgerkriegs allmählich wieder hoffen – aber sie verlassen sich nicht mehr auf die Zusagen der Politiker, sondern organisieren sich in Kooperativen selber.

Mitglieder der Kooperative "Coofabrio" bei der Arbeit. © Eduardo Martino / Documentography

Mitglieder der Kooperative "Coofabrio" bei der Arbeit. © Eduardo Martino / Documentography

Freie Übersetzung/Zusammenfassung des Artikels "Colombia: no guns, no drugs, no atrocities, no rape, no murder. Just bananas…" – erschienen in "The Guardian" (25. Februar 2018)

Sie schliefen in ihren Betten, stahlen ihre Hühner, kochten in ihren Töpfen – die Guerilla-Gruppen sind in Kolumbien regelrecht über die Dörfer hergefallen und machten sich das Hab und Gut der Bauern zu eigen, sie vergewaltigten, verstümmelten und mordeten willkürlich.

Eine Katastrophe jagte die vorherige, Akte der Demütigung mehrten sich und die existenzielle Bedrohung wurde zum Alltag. Es scheint, als dienten all diese Begebenheiten nicht zuletzt dazu, kolumbianische Kleinbauern dazu zu bewegen, ihr Land an die Großgrundbesitzer zu verkaufen, die darauf Palmöl produzieren wollen. Viele Bauern fügten sich diesem Druck und flohen nach Bogotá und Medellín, um sich dort ein Leben aufzubauen. Einige jedoch blieben in ihrer Heimat, sie blieben standhaft und mutig – zwei Eigenschaften, die alle gemeinsam hatten.

Sie vermachten das bisschen Land, das sie ihr Eigen nennen konnten, meist nur ein oder zwei Hektar, der Tochter oder dem Sohn, teilweise über vier oder fünf Generationen. Was ebenfalls alle miteinander verband, war die omnipräsente Angst. Die Angst, dass ihnen zu jedem Zeitpunkt alles, wofür sie tagtäglich hart arbeiteten, genommen werden kann.

Massaker von Ciénaga setzte 90-jährigen Bürgerkrieg in Gang

Maßgeblicher Grund für diese Angst war nicht zuletzt das Massaker von Ciénaga im Jahr 1928, bei dem die kolumbianische Armee eine unbestimmte Anzahl Bananenfarmer öffentlich hinrichtete. Jene Bauernfamilien widersetzten sich zuvor den harschen, menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen der United Fruit Company, für die sie arbeiteten. Die Bauernfamilien begannen zu streiken, und eines Tages wurden sie auf einen Platz bestellt, um dort mittels Verhandlungen ein Ende des Streits und somit Streiks zu erwirken. Kaum waren sie alle auf dem Platz versammelt, wurden sie per Dekret von einem Soldaten der Regierung zu Gesetzesbrechern erklärt. Fünf Minuten waren ihnen gegeben, um zu ihrer Arbeit zurückzukehren. Als sich keiner der Anwesenden rührte, eröffneten Soldaten das Feuer und schossen wahllos in die Menschenmenge, in der sich Frauen, Männer und Kinder befanden.

Das Massaker war der Beginn eines 90 Jahre dauernden Krieges zwischen Plantagenbesitzern, der Regierung, die jegliche Gewerkschaftsbildung unterband, und Guerilla- und paramilitärischen Gruppen, die sich schließlich im Dschungel versteckten. Während dieses Krieges befanden sich die Plantagen in Nordkolumbien durchgehend an der Front und litten sichtlich unter dem Konflikt. In den 60er-Jahren wurde allmählich der Ausnahme- zum Regelzustand und der Konflikt alltäglich. Doch nicht nur der Streit um Land, auch Korruption und Geldwäsche im Rahmen des Kokainhandels sorgten für zusätzliche Spannungen in Kolumbien. Offizielle Zahlen berichten von insgesamt 220.000 Todesopfern, die Dunkelziffer liegt jedoch vermutlich weitaus höher.

Lang ersehnter, fragiler Frieden dank Präsident Juan Manuel Santos

Der lange Weg zum Frieden fand seinen Höhepunkt im vergangenen Jahr in einem vorläufigen Friedensabkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc-Rebellengruppe, der mächtigsten und unbarmherzigsten Guerilla-Gruppe in Kolumbien, die einst ein Drittel des Landes kontrollierte. Das Abkommen verschaffte Präsident Juan Manuel Santos den Friedensnobelpreis – und wird in den im Mai anstehenden Präsidentschaftswahlen auf die Probe gestellt.

Die Bananenbauern setzen nicht viel auf das Abkommen. Sie trauen weder den zigtausenden Rebellen, die nun in streng überwachten „Rehabilitierungslagern“ im ganzen Land verteilt auf Reintegration und Akzeptanz seitens der Bevölkerung warten, noch der Regierung, die wenn überhaupt nur selten auf ihrer Seite zu sein schien. Stattdessen konzentrieren sich die Plantagenbesitzer und ihre Familien auf das, was sie sich selber erschaffen und langfristig verwalten können.

Mehr Unabhängigkeit durch Gründung der Fairtrade-Kooperative Coofabrio

In diesem Zuge haben sie sich solidarisch organisiert und zu einer Fairtrade-zertifizierten Kooperative zusammengeschlossen. Coofabrio nennt sich diese Kooperative und verkauft hauptsächlich an den Britischen Markt. Die Fairtrade-Zertifizierung sorgte dafür, dass die Bananenbauern erstmalig einen Mindestpreis für ihre Ernte erhielten und nicht länger den Schwankungen des Weltmarktes und seiner Währungen ausgeliefert waren. Mittels der Fairtrade-Prämie haben sie zudem die Möglichkeit, demokratisch ausgewählte Projekte zugunsten der Kooperative eigenständig zu realisieren. So haben die Bananenbauern von Ciénaga einen Hilfsfond eröffnet, der für von Hurricanes und anderen Miseren betroffenen Plantagen eingesetzt wird, und sie können sich in Schulungen Wissen aneignen, welches sie in der Verwaltung ihres eigenen Landes anwenden können. Vor allem aber haben sie eines gelernt: Solidarität zu leben, obwohl sich jeder der Bauern zuvor als Einzelkämpfer sah.

Der Ehrgeiz der Kooperative entwickelt sich stetig weiter. War es zunächst nur der Plan, die Produktivität zu steigern, machten sie sich im Zuge der nächsten Prämieninvestition die Schaffung eines Mindestlebensstandards für jedes der Mitglieder zum Ziel. Ein Großteil der Bauern hatte nur Holzhütten, in denen sie lebten und schliefen. Es wurde im Kollektiv entschieden, dass jedes der 46 Mitglieder in der Gruppe mindestens eine Küche, eine Toilette und ein Wohnzimmer haben sollte. Vor zwei Jahren haben sie dieses dann Ziel erreicht, und weiß getünchte Häuser säumen nun die Straßen.

Frauenkollektiv innerhalb der Kooperative

Die Wohnzimmer der Bauernfamilien sind jedoch nicht nur Aufenthaltsraum, sondern gleichermaßen ein Kommunikationszentrum. So treffen sie sich die elf Bäuerinnen der Kooperative wöchentlich in einem der neuen Wohnzimmer und diskutieren die Anliegen ihres innerhalb der Kooperative gegründeten Frauenkollektivs.

Ein anderer Teil der Fairtrade-Prämie wird eingesetzt, um die besten Schülerinnen und Schüler der örtlichen Schule an die Universität zu schicken. Auch eine Schule in Urubá konnte mithilfe der Fairtrade-Prämie errichtet werden. Die Kinder, die früher abhängig vom derzeitigen Aufenthaltsort der Guerilla- und paramilitärischen Gruppen irgendwo unter freiem Himmel unterrichtet wurden, sitzen nun einer einem sonnendurchfluteten Klassenzimmer und lauschen dem Lehrer, der Schaubilder auf ein Whiteboard malt.

Ein schwieriger Weg zu Selbstbestimmung und Wohlstand

Der Frieden in Kolumbien ist labil, doch ist er gleichzeitig etwas, an das die Menschen glauben wollen. Vielen erscheint er surreal, und trotz der weitgehenden Verlagerung des Drogenkrieges nach Mexiko stellt der Mikrohandel für viele junge Männer und Frauen noch immer eine große Versuchung dar. Auch dort will sich die Kooperative Coofabrio engagieren – etwa sichere Arbeitsplätze schaffen, Bildungsstipendien finanzieren und Freizeitangebote sponsern. Es ist ein langer und schwieriger Weg – aber auch ein ermutigender, der zeigt, wie Solidarität und Selbstbestimmung für mehr Wohlstand und eine Perspektive für alle sorgen können.