Interview mit Nazma Akter

Menschenrechtsaktivistin aus Bangladesch

Was hat sich seit dem letzten Jahr verändert?

Viele Gewerkschaften haben mit ihren Unternehmen Vereinbarungen unterzeichnet, die zum Ziel haben, den Lohn der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erhöhen und ihnen bessere Sozialleistungen zu sichern. Dazu gehören unter anderem Feiertagszuschläge, Kindertagesstätten, Lebensmittelversorgung und Beschwerdemechanismen. Die meisten dieser Vereinbarungen wurden während der Krise in Ashulia getroffen, bei der etliche Arbeiterinnen und Arbeiter verhaftet oder inhaftiert waren. Fabriken mit funktionierenden Gewerkschaften waren in der Form nicht in die Krise involviert, sondern schlossen stattdessen Abkommen mit ihren Geschäftsleitungen, die ihren Einfluss und Nutzen steigerten. Obwohl die Ereignisse sehr schwierig für die Textilindustrie waren, dienten sie auch als Beispiel dafür, wie Gewerkschaften die Industrie zugunsten von Geschäftsleitung und Arbeitnehmerschaft stabilisieren können. In der Folge hat sich eine Reihe neuer Gewerkschaften gebildet und wir hoffen, dass die Anzahl im Verlauf des Jahres noch steigen wird.

Was sind die aktuellen Entwicklungen?

Wir arbeiten weiterhin daran, die Industrie im Zuge der Krise zu stabilisieren. Gleichzeitig gibt es einen erhöhten Preisdruck, der das Wohl der Arbeitnehmer beeinträchtigt. Es kann aber festgehalten werden, dass sich viele Dinge zum Guten entwickeln, wie beispielsweise die zunehmende Beteiligung von Frauen, daneben auch die mehr Sicherheit und verbesserter Schutz sowie die Infrastruktur der Fabriken. Außerdem werden die Leistungen für Frauen mehr, etwa die größere Anerkennung für sie und die Umsetzung von Maßnahmen wie Mutterschutz. Die Arbeitnehmer selbst nehmen gute Arbeitsbedingungen viel bewusster wahr und benennen sie entsprechend.

Welche Hindernisse sind immer noch präsent?

Niedrige Löhne bleiben ein Kernproblem der Textilbranche. Das bedeutet, dass die Lebensbedingungen und die Ernährungssituation unter den Arbeiterinnen und Arbeitern auf einem äußerst niedrigen Standard verbleiben und zugleich lastet ein enormer Druck auf ihnen, übermäßig viel arbeiten zu müssen: Unter dem hohen Produktionsdruck ist es schwer für sie, nach dem vierzigsten Lebensjahr noch in der Industrie zu bleiben. Davon abgesehen sind Frauen auf der mittleren Führungsebene und als Entscheidungsträgerinnen unterrepräsentiert.

Die Transparenz im Textilsektor ist so gering, dass Standards und Subverträge nur schwer zu handhaben sind. Dazu ist noch der Bildungszugang für Kinder begrenzt, wodurch sich wiederum die Chancen für die nächste Generation verringern, einen guten Einkommens- und Lebensstandard zu erreichen.

Gibt es vor Ort positive Veränderungen?

Ich habe 1986 begonnen, in der Bekleidungsindustrie zu arbeiten und habe seit dieser Zeit eine ganze Menge an positiven Veränderungen gesehen. Allein im letzten Jahr hatten wir viele Erfolge: das größere Engagement und das erhöhte Bewusstsein unter den Arbeitnehmern, eine hohe Anzahl an neu gebildeten Gewerkschaften sowie enorme Fortschritte in der Infrastruktur und Sicherheit in den Fabriken. Rückständig sind nach wie vor die Löhne. Sie bleiben viel zu niedrig, während die Lebenskosten immer nur steigen. Der Preisdruck der Marken verstärkt sich gleichfalls, was bedeutet, dass die Fabrikleitung keine andere Möglichkeit hat als Druck auf die Arbeiterinnen und Arbeiter auszuüben. Wir müssen darum unsere Bemühungen auf eine bessere Gewinnverteilung in der Lieferkette ausrichten, insbesondere zwischen den Marken und Fabriken, die dringend genug Geld erwirtschaften müssen, um ihre Arbeitnehmer fair bezahlen und menschenwürdige Arbeitsbedingungen aufrechterhalten zu können.