Statement zum Spiegel-Artikel "Unfaire Geschäfte"

Köln, 06.10.2014, 11.00 Uhr

In der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL setzt sich der Artikel „Unfaire Geschäfte“ kritisch mit dem Fairen Handel und der Fairtrade-Bewegung auseinander. Aufhänger ist ein Marktcheck der Verbraucherzentrale Hamburg (VZHH), der 32 Produkte – davon zwölf mit Fairtrade-Siegel – auf ihre Auslobung, Zutaten und Rückverfolgbarkeit testet. Andere Medien haben die Thematik bereits aufgegriffen. Dem Artikel in der Spiegel-Printausgabe vorangegangen war ein intensiver Austausch mit dem Autor, der sich mit verschiedenen komplexen Bereichen von Fairtrade beschäftigte. In den letzten Monaten haben sich bereits mehrere Publikationen mehr oder weniger kritisch mit dem Fairen Handel auseinandergesetzt. Der Artikel bringt keine neuen Erkenntnisse, sondern greift Kritikpunkte auf, die bereits bekannt sind und auf die Fairtrade bereits verschiedentlich reagiert hat. Die positiven Entwicklungen des Fairen Handels, über die im Vorfeld ausführlich mit dem Autor gesprochen wurden, wurden ausgelassen.

Bei Fairtrade geht es um Empowerment und langfristige Entwicklungen: Kleinbauern und Arbeitskräfte bewältigen Schritt für Schritt tief verwurzelte Probleme, um eine bessere Zukunft für sich, ihre Familien und ihr soziales Umfeld zu schaffen. Als Entwicklungsmodell wollen wir langfristig starke demokratische Organisationen schaffen, mit stabiler Verhandlungsposition, mit hohem Know-How nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken und dem Potenzial, positive Veränderung nicht nur für sich, sondern auch für ihre Gemeinden zu bringen.

Dabei geht Fairtrade als demokratische Bewegung den Weg der Partizipation: Als einziges Zertifizierungssystem weltweit wird es von den Produzentenorganisationen gleichberechtigt mitgestaltet, denn sie halten 50 Prozent der Stimmen im Dachverband Fairtrade International.

Mit neuen Ansätzen arbeiten wir zudem daran, die Wirksamkeit von Fairtrade für Kleinbauern und Arbeitskräfte kontinuierlich zu verbessern. Seit dem vergangenen Jahr ist Fairtrade International beispielsweise dabei neue Richtwerte für existenzsichernde Löhne in verschiedenen Ländern und Produktsparten festzulegen, hat von der lokalen Bevölkerung getragene Pilotprojekte zur Prävention von Kinderarbeit ins Leben gerufen und örtliche Gewerkschaften bei Verhandlungen mit Arbeitgebern unterstützt.

Nach wie vor steht die Fairtrade-Bewegung großen Problemen gegenüber. Sie unterscheiden sich nach Land, Region und Produktsparte. Die Fairtrade-Standards sind der Werkzeugkasten, diese Probleme anzugehen. Die Produzentenorganisationen selbst, die Berater von Fairtrade International und die kontinentalen Produzentennetzwerke sowie die Kontrolleure von FLOCERT sind die „Handwerker“, die das Instrumentarium vor Ort anwenden und darüber hinaus mit großem Einsatz Entwicklung vorantreiben. Dabei reflektieren wir stets kritisch, ob die Werkzeuge sinnvoll eingesetzt werden, wo wir nachjustieren oder die Instrumente erweitern und verändern müssen.

Im ausführlicheren Teil Fragen & Antworten möchten wir bereits einige der diskutierten Themen aufgreifen und erläutern. Detaillierte Informationen zum Marktcheck der Verbraucherzentrale Hamburg finden Sie in unserem unserem Statement.

Wir begrüßen konstruktive Kritik und wünschen uns einen offenen Diskurs mit Verbraucherinnen und Verbrauchern, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik. Für Ihre Fragen und Anmerkungen stehen wir gerne zur Verfügung.

Video-Chat mit Dieter Overath

Im Rahmen der Diskussionen rund um den Marktcheck der VZHH und den SPIEGEL-Artikel luden wir am 07.10. ein zum Live-Chat mit unserem Geschäftsführer Dieter Overath.

Alle Fragen, die uns im Vorfeld per Mail oder live im Chat erreichten, konnten beantwortet werden. Sehen Sie hier die Aufzeichnung des Video-Chats:

Zum Video-Chat >

Fragen und Antworten

Für die meisten Produkte gilt längst die physische Rückverfolgbarkeit. Das bedeutet: Bspw. Fairtrade-Kaffeebohnen werden in der gesamten Wertschöpfungskette immer von konventionellen Bohnen getrennt verarbeitet. Dieses Prinzip gilt für den Großteil der Rohstoffe. Es gibt jedoch Ausnahmen, für die der sogenannte Mengenausgleich zulässig ist. Dies gilt für Tee, Kakao, Zucker und Fruchtsaft. Hier werden die Produkte bei den zertifizierten Organisationen zu Fairtrade-Bedingungen eingekauft, die Produzenten profitieren von denselben Vorteilen des Fairen Handels. In der Lieferkette werden die Fairtrade-Rohstoffe jedoch mit konventionellen vermischt. Die Mengen werden genau dokumentiert und nur so viel Endprodukte mit dem Siegel gekennzeichnet, wie es den eingekauften Faritrade-Rohwaren entspricht. Dies wird verpflichtend regelmäßig unabhängig überprüft.

Mengenausgleich ist also für Fairtrade-Produzenten ein entwicklungspolitisches Instrument der Armutsbekämpfung und insbesondere wichtig für kleine Produzentenorganisationen. Sie können ihre Produkte nicht selbst weiter verarbeiten und sind auf zentrale Weiterverarbeitungsunternehmen angewiesen. Für eigene Fairtrade-Chargen sind jedoch die Mengen nach wie vor zu gering. Nur durch den Mengenausgleich ist es derzeit möglich, dass sie dennoch vom Fairen Handel profitieren.

Dies gilt auch bei Orangensaft: Die Orangensaftbranche in Brasilien konzentriert sich stark auf die Region um São Paulo. 85 Prozent der Fabrikkapazitäten zur Saftherstellung befinden sich in diesem Gebiet. Hier sind die Großunternehmen für die Saftverarbeitung angesiedelt. Bereits hier werden die Orangen verschiedener Produzenten, darunter auch die von Fairtrade-Organisationen, vermischt, zu Konzentrat (Frozen Concentrated Orange Juice) verarbeitet und dann exportiert. Das Konzentrat wird von Herstellern wie Pfanner aufgekauft, zu Saft verdünnt und abgefüllt. Die Verpackung, die aufgrund des mangelnden Hinweises auf den Mengenausgleich von der Verbraucherzentrale kritisiert wird, wurde bereits vor zwei Monaten auch auf Drängen von TransFair geändert.

Aus Produzentensicht ist nicht die physische Identität eine Produktes entscheidend, sondern dass sie dank Fairtrade einen Marktzugang haben, stabilere und höhere Preise erzielen können, und dadurch eine Verbesserung der Lebensverhältnisse überhaupt erst erreicht werden kann.

Mehr zu Rückverfolgbarkeit >

Bei Produkten mit dem Fairtrade-Siegel werden alle Zutaten, die es Fairtrade-zertifiziert gibt, zu 100 Prozent nach Fairtrade-Standards gehandelt. Produkte mit nur einer Zutat wie Kaffee, Reis, Blumen, Honig, Bananen etc. müssen also immer komplett fair gehandelt sein.

In Deutschland beruhen rund 86 Prozent der Fairtrade-Absätze auf diesen Monoprodukten.

Auch bei Produkten mit dem Fairtrade-Siegel, die mehrere Zutaten beinhalten, wie Kekse, Müsli, Schokolade, gilt: Alle verfügbaren Fairtrade-Bestandteile müssen 100 Prozent fair gehandelt sein z.B. Kakao, Zucker, Vanille, Nüsse.

Milch, Weizenmehl oder Eier fallen nicht unter diese Anforderung, schlicht aus dem Grund, dass es diese Produkte nicht nach Fairtrade-Kriterien gibt. Denn der Schwerpunkt von Fairtrade liegt ausschließlich auf Produzenten aus dem globalen Süden. Deshalb gilt die zusätzliche Bedingung des Mindestanteils von 20 Prozent (Zugesetztes Wasser und/oder Milchprodukte können bei der Berechnung unberücksichtigt bleiben, sofern ihr Anteil mehr als 50 Prozent des Produktes ausmacht. Wie zum Beispiel bei einer Limonade, die zum größten Teil aus Wasser besteht. Diese Maßeinheiten entsprechen nun den Normen der Lebensmittelindustrie). Eine Vollmilchschokolade kann nicht zu 100 Prozent aus Fairtrade-Zutaten bestehen, denn Milchpulver gibt es nicht Fairtrade-zertifiziert und wird es auch nie geben.

In Deutschland beruhen rund 14 Prozent der Fairtrade-Absätze auf Mischprodukten. Nur gut ein Prozent der Mischprodukte liegen im Korridor 20-50 Prozent fair gehandelter Bestandteile. Alle anderen Mischprodukte haben mehr als 50% Fairtrade-Anteil. Der Fairtrade-Anteil am Gesamtprodukt ist auf der Verpackung klar vermerkt.

Erst durch die Verfügbarkeit von Mischprodukten wird vielen Produzentenorganisationen ein weiterer Marktzugang für ihre Rohstoffe ermöglicht, insbesondere solchen die „unbedeutendere“ Produkte wie z.B. Gewürze, Nüsse oder Zucker anbieten. Dies ist ausdrücklich im Interesse der Produzentenorganisationen.

Im Fairtrade-System gab es 2007 eine erste Richtlinie zu Mischprodukten. Demnach war es den nationalen Fairtrade-Organisationen wie TransFair überlassen, Mindestschwellen für Fairtrade-Zutaten zu definieren. TransFair hatte diese bei 50 Prozent festgelegt, andere nationale Fairtrade-Organisationen jedoch wesentlich niedriger. Dies führte in der Folge auf internationaler Ebene zu Problemen beim grenzüberschreitenden Handel mit Fairtrade-Produkten, so dass eine international einheitliche und verbindliche Regelung notwendig wurde. Die dann in 2011 festgelegten 20 Prozent als Untergrenze sind das Ergebnis eines Konsultationsprozesses aller Fairtrade-Beteiligten. Die Entscheidung wurde in einer demokratischen Abstimmung aller Beteiligten, auch der Produzentenvertreter, getroffen. Diese Entscheidung wird von TransFair als Mitgliedsorganisation von Fairtrade mitgetragen. 

Die Mindestanteilregelung ist allerdings nur ein Aspekt der heute geltenden Standardkriterien zu Mischprodukten. Genauso wichtig ist die Vorschrift „alles was Fairtrade sein kann, muss auch Fairtrade sein“. Das führt dazu, dass in Deutschland die weitaus meisten Mischprodukte mehr als 50 Prozent Fairtrade-Anteil haben. 

Zu den Produkten, die immer noch ein „Nischendasein“ führen, gehören Kakao, Zucker und Baumwolle. Viele Produzentenorganisationen wünschen sich – und benötigen dringend – höhere Absätze unter Fairtrade-Bedingungen.

Die Fairtrade-Programme bieten den Produzenten die Chance, höhere Absätze unter Fairtrade-Bedingungen zu erzielen. Die Programme konzentrieren sich auf den Verkauf von Kakao, Zucker und Baumwolle als Rohprodukte an Unternehmen und sind somit eine weitere Option mit Fairtrade zusammenzuarbeiten. Bisher gab es den klassischen Schokoriegel mit dem Fairtrade-Siegel. Jetzt können Unternehmen auch Fairtrade-Kakao oder -Zucker als Einzelrohstoff beziehen und über mehrere Sortimente hinweg oder für die Gesamtproduktion verwenden. Hier wird also ebenfalls der Mengenausgleich angewendet. Das Fairtrade-Siegel darf nicht verwendet werden, da hierfür gilt: alle Zutaten, die Fairtrade verfügbar sind, müssen auch zertifiziert gehandelt sein. Man kann aber mit der Auszeichnung für die Programme auf die Teilnahme hinweisen.

"Das ist der Durchbruch, auf den wir lange gewartet haben. Für uns bedeutet das neue Programm, dass wir unsere Fairtrade-Absätze steigern können. Das heißt mehr Prämiengelder für Schulungen zur Produktionssteigerung und damit mehr Einkommen für die Bauern."

Fortin Bley, Kakaobauer und Generalsekretär der Kakaokooperative CANN in der Elfenbeinküsten.

Mehr zu den Fairtrade-Programmen >

Fairtrade-zertifizierte Produzentenorganisationen haben im Jahr 2015 über 148 Mio. Euro Prämie erhalten (zusätzlich zum Verkaufspreis für ihre Rohstoffe und Produkte). Die Gesamtkosten für die Zertifizierung in 2015 belaufen sich dagegen auf 4,14 Mio. Euro – im Vergleich allein zu den Fairtrade-Prämiengeldern also nur ein Bruchteil von weniger als drei Prozent.

Die Kosten der Zertifizierung variieren je nach Größe der Produzentenorganisation. Die kleinsten Kooperative im Fairtrade-System zählen nur wenige Mitglieder, die größten mehrere Zehntausend. Der Zeitaufwand für die Kontrollen ist sehr unterschiedlich und abhängig von der Größe der Bauern-Kooperative, des Gebietes, in dem die Kooperativenmitglieder leben, der Organisationsstruktur und der Anzahl der unterschiedlichen Produkte, die zertifiziert werden sollen. Bei kleinen Organisationen bleiben die Inspekteure ca. drei bis vier Tage vor Ort, bei den größten Kooperativen kann die Kontrolle auch mehrere Wochen dauern. Die Zertifizierung und Kontrolle nach Fairtrade-Standards wird von der unabhängigen FLOCERT GmbH durchgeführt.

In der Regel schaffen es die Kooperativen, selbständig für die Zertifizierungskosten aufzukommen. Fairtrade International unterstützt aber auch die Kleinbauernorganisationen, welche die Kosten der Zertifizierung nicht alleine tragen können. Bis zu 75 Prozent der Gebühren können bis zu zweimal durch den sogenannten Producer Certification Fund gedeckt werden. Der Fonds wird durch die Nationalen Fairtrade Organisationen, wie TransFair in Deutschland, finanziert und über Fairtrade International abgewickelt.

Darüber hinaus hilft Fairtrade International den Produzentenorganisationen, die Standards zu erfüllen. Die Berater der „Producer Services & Relations“ besuchen die Kooperativen, bieten themenbezogene Schulungen an und stehen bei Fragen zur Verfügung. Die Kosten hierfür werden ebenfalls von Fairtrade International getragen.

Im Spiegel-Artikel wurden die zu geringen Absätze der Fairtrade-Kooperative Kuapa Kokoo kritisiert. Wir batenEmmanuel Kwabena Arthur, Managing Director von Kuapa Kokoo Limited um eine Stellungnahme:

 „Kuapa Kokoo wurde 1993 als erste unabhängige Vereinigung von Kakao Produzenten gegründet. Seit wir 1995 erstmalig Fairtrade-zertifiziert wurden, haben wir signifikante Fortschritte erzielt. Fairtrade hat durch die stabilen Mindestpreise nicht nur für Stabilität bei volatilen Weltmarktpreisen gesorgt, sondern das Leben in unseren Gemeinden durch die zusätzliche Prämie verbessert. Der Bau von Schulen und Brunnen wurde möglich, wir haben eine ‚mobile Klinik‘ für unsere Kooperative eingerichtet und das „Livelihood Programme“ gegründet, ein Kontrollmechanismus, um Kinder vor ausbeuterischer Kinderarbeit zu schützen. Die Prämie ermöglichte außerdem die Einführung von Gleichstellungsprogrammen und Infoveranstaltungen zu Management und Projektplanung.

Seit Jahren gehören wir zu den größten Empfängern der Prämie im Fairtrade-System. Unsere Zertifizierungskosten betragen 0,6 Prozent unserer Prämieneinnahmen und unsere Kakao-Verkaufsvolumina nehmen jährlich um über zwölf Prozent zu. Die Fairtrade-Zertifizierung ermöglicht direkten Zugang zu Exporteuren und wir erwirtschaften für fair gehandelten Kakao 15 höhere Umsätze als ohne Zertifizierung. Die höheren Umsätze wirkten sich positive auf die Einkommen aus.

Mengenausgleich ist für uns notwendig und sinnvoll um Zugang zu verschiedenen Märkten zu erhalten und unsere Verkäufe zu erhöhen.“