Harriet Lamb zur SOAS-Studie

Harriet Lamb, die Geschäftsführerin von Fairtrade International, bezieht Stellung zu den Vorwürfen, die im Rahmen der Veröffentlichung der Studie „Fairtrade, Employment and Poverty Reduction in Ethiopia and Uganda” der London School of Oriental and African Studies der University of London (SOAS) aufgekommen sind.

"Fairtrade ist eine große, komplexe Bewegung und „Work in progress“. Wir haben nie behauptet, all die vielen Ungerechtigkeiten bekämpfen zu können, unter denen die in Armut lebenden Menschen leiden, noch dass wir eine Art „Handels-Nirvana“ erreicht haben, in dem wir alle globalen Handelsprobleme mit einem magischen Label ausbalancieren.

Viel mehr legen wir Schicht für Schicht die miteinander verknüpften und verstrickten Wirkungen von Armut im Handel frei. Immer wenn wir Fortschritte verzeichnen, entdecken wir weitere Probleme, die nach unserer Aufmerksamkeit schreien.

Wir wissen, dass Fairtrade wichtige Veränderungen für Kleinbauern und deren Gemeinschaften bewirkt, und ebenso für Beschäftigte auf Fairtrade-Plantagen. Wir haben nicht behauptet, dass wir die Ärmsten – z.B. die Landlosen in städtischen Slums – erreichen. Wir arbeiten mit Kleinbauern, die Qualitätsrohstoffe; Cash Crops; für den Export anbauen: Benachteiligt: Ja; die Ärmsten in ihren Ländern: Nein.

Eine wachsende Zahl an wissenschaftlichen Studien dokumentiert den Beitrag von Fairtrade zu einem breiten Spektrum positiver Auswirkungen für die Bauern, Beschäftigten und Gemeinschaften über Regionen und Produkte hinweg. Beispielsweise ergab eine Studie der Göttinger Universität zu verschiedenen Zertifizierungen in Uganda, dass die Einkommen der Bauern auf Fairtrade-zertifizierten Farmen um 30% gewachsen sind.

Untersuchungen vom „National Resources Institute (NRI) in Asien, Afrika und Lateinamerika ergaben: „Frauen und Kinder profitierten besonders von den Investitionen aus der Fairtrade-Prämie, wie zum Beispiel dem Bau von Apotheken, mehr Klassenräumen, Mädchen-Schlafräumen, Wasser-Tanks und -Rohren, verbesserten Sanitäreinrichtungen und Aktivitäten zur Diversifizierung der Existenzgrundlage.

Wir haben Fortschritte gemacht. Aber es gibt immer die nächste Schicht an Herausforderungen, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden: Beispielsweise trifft der Klimawandel die Bauern hart und ihre Produktivität geht steil bergab, weil die Jahreszeitenspirale außer Kontrolle gerät. In letzter Zeit ist außerdem die Problematik ins Blickfeld geraten, wie effektiv Erntehelfer und Wanderarbeiter auf Kleinbauern-Farmen von Fairtrade erreicht werden.
Im Mai setzt eine neue Studie der SOAS den Fokus auf jene, die als Leiharbeiter oder Gelegenheitsarbeiter tätig sind. Die Untersuchung legt den Schwerpunkt auf Frauen, die keine Bildung erhalten haben, die getrennt, geschieden oder verwitwet leben, die gezwungen sind, jegliche Arbeit anzunehmen, die sie auf dem Land bekommen können, um zu überleben.

Der Report zeigt Momentaufnahmen des Lebens der Arbeiter durch Interviews an ausgewählten Standorten in Äthiopien und Uganda, einschließlich Gegenden, in denen drei Fairtrade-zertifizierte Kooperativen liegen.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Untersuchung nicht-zertifizierter Farmen sich auf Beschäftigte unterschieldicher Farm-Größen und großer Plantagen bezieht, es sich bei den untersuchen Fairtrade-Farmen aber ausschließlich um Kleinbauernkooperativen handelt, was die Gegenüberstellung nicht vergleichbar macht. Darüber hinaus schied jene Fairtrade-Plantage, die in der Studie untersucht wurde, kurz nach Durchführung der SOAS-Untersuchung, aus dem Fairtrade-System aus, wohingegen vielmehr die „nicht-zertifizierte“ äthiopische Blumenfarm, die zitiert wird, seit 2012 Fairtrade-zertifiziert ist.
Die Resultate der SOAS-Studie bezüglich der Situation der Arbeiter, die sie an den zwölf Orten interviewt haben, sind nicht überraschend aber ernüchternd. Landwirtschaftliche Lohnarbeiter werden als „stark benachteiligt“ beschrieben hinsichtlich Bildung, Ernährung, Beteiligung und Eigentum (oft fehlt es ihnen an so grundlegenden Dingen wie einer Öllampe), und Gelegenheitsarbeiter sind die am stärksten Benachteiligten unter ihnen.

Wir halten es ebenso wie die SOAS für wichtig, die globale Aufmerksamkeit auf diese verborgenen Arbeiter zu lenken. Wir schätzen  und anerkennen die Einblicke, die die Studie hinsichtlich der Arten und Bedingungen von Beschäftigung gefährdeter Farm-Arbeiter gibt. Wir widersprechen jedoch in aller Deutlichkeit den stark generalisierenden und reißerischen Schlussfolgerungen, die SOAS über Fairtrade zieht. Dies ist äußerst bedauerlich, weil der Untersuchungsbericht an sich deutlich maßvoller und nützlicher ist.
Nichtsdestotrotz hoffen wir, dass die SOAS-Daten helfen werden, die nächste große Herausforderung  anzugehen– nämlich wie wir Saisonarbeiter und Gelegenheitsarbeiter besser erreichen können und ihnen ermöglichen gleichermaßen von den Vorteilen des Handels zu profitieren. Dies ist nicht allein eine Herausforderung für Fairtrade. Weit gefehlt. Wie die Untersuchung zeigt, hilft diesen Arbeitern keinerlei Intervention – weder konnten Gewerkschaften sie erreichen, noch Unternehmen, Regierungen oder Nichtregierungsorganisationen. Daher werden sehr praxisnahe und spezielle politische Lösungen gefunden werden müssen – und das ist kein leichter Weg.


Bei Fairtrade lag der Schwerpunkt bislang darauf, wie wir die Bedingungen für Kleinbauern –die 80 Prozent der Männer und Frauen im Fairtrade-System darstellen – und Beschäftigte von Plantagen verbessern können. Jetzt liegt die Herausforderung darin, die nächste Schicht freizulegen und gegen weitere Formen der Armut im Handel vorzugehen: wir müssen die Bedingungen von Saisonarbeitern und Gelegenheitsarbeitern von Kleinbauernorganisationen, die beispielsweise bei der Ernte aushelfen, mitberücksichtigen.

Wie können wir sicherstellen, dass die Vorteile von Fairtrade auch sie erreichen? Wenn Kleinbauern nicht genug verdienen, um ihre Familien zu ernähren – wie sollen sie jemals die Löhne ihrer Angestellten erhöhen?
Ein Beispiel: Während es in jeder Kleinbauernkooperative eine gewisse Bandbreite an Farmen verschiedener Größe gibt, haben afrikanische Fairtrade Kaffee- und Tee-Kleinbauern oft winzige Flächen von durchschnittlich lediglich 0,8 beziehungsweise 0,4 Hektar. Das ist weniger als ein Fußballfeld und davon müssen sie ihre Familie ernähren. Sie sind höchst anfällig für die negativen Auswirkungen von Preis-Volatilität und Klimawandel.

Und wenn sie nur einen kleinen Anteil ihrer Ernte unter Fairtrade-Bedingungen verkaufen können, haben sie schlicht wenig Geld zur Verfügung, das verteilt werden kann. Als die SOAS 2011/12 ihre Felduntersuchung durchführte, verkaufte beispielsweise eine der drei  untersuchten Fairtrade-Kooperativen, Mpanga Tea Producers, weniger als 1 Prozent ihres Tees unter Fairtrade-Bedingungen.

Um also die Wirkung von Fairtrade für Angestellte von Kleinbauernkooperativen zu verbessern, müssen wir auch die besonders gefährdeten Bauern unterstützen, die diese Arbeiter beschäftigen. Kleinbauern, die 70 Prozent der weltweiten Nahrungsmittel anbauen, vom Markt zu verdrängen, ist keine Lösung. Wir müssen die richtige Balance finden um eine Win-Win Situation zu erreichen.

Es gibt einige Schritte die Produzenten nun unternehmen können. Aber um nachhaltige Veränderung voranzubringen muss Tiefstpreisen ein Ende gesetzt werden. Nur wenn Unternehmen und Konsumenten bereit sind, etwas mehr für Waren zu bezahlen, können Bauern und Arbeiter eine würdevolle Lebensgrundlage haben.

Die Fairtrade-Prämie – ein Zuschlag, den Produzenten von den Einkäufern erhalten, um in Gemeinschaftsprojekte und Produktionsverbesserung zu investieren – hilft viel. Aber sie führt auch zu harten Entscheidungen, da die Bedürfnisse oft größer sind als die zur Verfügung stehenden Gelder. Wenn Arbeiter und Bauern sich zu den Jahresversammlungen treffen, müssen sie entscheiden, wo ihre Prioritäten liegen. Sollen sie ein zusätzliches Klassenzimmer für die Schule bauen oder lieber Unterkünfte – in der Hoffnung, dadurch vielleicht einen Lehrer zu motivieren, in ihre abgelegene Gemeinde zu ziehen und somit den Schülern regelmäßigen qualifizierten Unterricht zu ermöglichen? Oder ist eine Straße, die die Farmen mit der Gemeinde verbindet, eine bessere Investition für jeden dort? Dies sind für niemanden leichte Entscheidungen. Und es obliegt sicherlich nicht Außenstehenden, ihnen diese zu diktieren. […]

Alles in allem hoffen wir, dass die SOAS-Studie dazu beitragen wird, den Menschen die Herausforderungen vor Augen zu führen, denen wir alle gemeinsam gegenüberstehen.  Fairtrade bemüht sich tagtäglich, diese anzugehen. Das Fairtrade-Siegel auf Produkten bedeutet nicht, dass diese aus wenigen handverlesenen Betrieben kommen, in denen perfekte Bedingungen herrschen. Es steht dafür, dass Fairtrade Seite an Seite mit Bauern und Arbeitern an Verbesserungen arbeitet und Lösungen für die realen Problemen sucht, mit denen deren Gemeinschaften konfrontiert sind. Es steht dafür, dass Kleinbauern und Arbeiter mit Unterstützung von Unternehmen und Verbrauchern auf dem langen, steinigen Weg vorangehen können, langsam und Schritt für Schritt , um nach und nach die Lebensverhältnisse für sich, ihre Familien und ihre Gemeinschaften zu verbessern.

 

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