Glück im Unglück für Indiens Baumwollproduzent*innen

Die meisten Baumwollbäuerinnen und -bauern hatten ihre Ernte gerade verkauft, als die Pandemie zuschlug – sie hatten Glück im Unglück. Trotzdem machen ihnen strukturelle Probleme wie niedrige Marktpreise zu schaffen. Die Zukunft ist für viele ungewiss.

Indien spielt nicht nur in der Textilproduktion eine entscheidende Rolle. Neben den USA und China ist das südasiatische Land einer der größten Baumwolllieferanten der Welt. Anders als in den USA, wo Baumwolle auf riesigen Plantagen angebaut wird, sind es in Indien vorwiegend Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die die Fasern anbauen. Da Baumwolle an der Börse gehandelt wird, sind Kleinbauern abhängig von der Entwicklung am Markt. Immer wieder sind sie gezwungen, ihre Ernte zu Dumpingpreisen zu verkaufen.

Corona-Pandemie ließ Marktpreise sinken

Zuletzt hatte der Ausbruch der Corona-Pandemie im Februar 2020 für einen Preissturz gesorgt. Auftragsänderungen, -stornierungen und die geringe Nachfrage ließen die Weltmarktpreise für Baumwolle sinken. „Zum Glück fand in dieser Zeit kaum Handel statt“, erklärt Amit Das vom asiatischen Fairtrade-Produzentennetzwerk NAPP. „Die Ernte endet für kleine Betriebe in der Regel im Dezember, spätestens im Januar. Der Großteil der Produzenten hatte die Baumwolle also längst verkauft als die Pandemie ausbrach.“ Etwa 60 bis 70 Prozent der Fairtrade-Baumwollbäuerinnen und -bauern konnten ihre Geschäfte rechtzeitig abschließen, bevor der Lockdown Indien in eine Art Dornröschenschlaf schickte: Fabriken, Geschäfte, Logistik – fast zwei Monate lang stand das gesamte Land und damit auch der Handel weitestgehend still. „Nur wenige hatten ihre Baumwolle zu dem Zeitpunkt noch nicht verkauft und größere Schwierigkeiten. Einige mussten ihre Ernte beispielsweise zwischenlagern, weil die Entkörnungsbetriebe geschlossen waren“, so Das. Um sie in der Krise zu unterstützen, stellte Fairtrade einen Corona-Hilfsfonds bereit. Mithilfe einer Standardänderung konnten zudem Prämiengelder als zusätzliches Einkommen ausbezahlt werden.

„Die Angst vor der Zukunft war groß“

Im Vergleich zu Indiens Städten hatten sich die Auswirkungen der Pandemie auf dem Land in Grenzen gehalten. „Obwohl es kaum Krankheitsfälle gab, war die Angst vor der Zukunft groß“, räumt Amit Das ein. „Nach dem Lockdown machte sich unter den Produzenten eine gewisse Panik breit, ob genug Saatgut für die nächste Aussaat verfügbar sein würde. Und selbst wenn es genug Saatgut gäbe, wie würde es die Produzenten rechtzeitig erreichen? Schließlich stand der Transportsektor zeitweise still.“ Am Ende erreichte der Großteil der Samen die Bäuerinnen und Bauern mit nur etwas Verspätung, gerade noch rechtzeitig zum Monsun. Neben der Verfügbarkeit von Saatgut bereitete die Nachfrage den Fairtrade-Produzent*innen Sorge: „Viele unserer Baumwollbauern waren unsicher, wie sich die Nachfrage durch die Pandemie verändern würde. Sie wussten nicht, wie viel Baumwolle sie anbauen sollten, oder ob sie stattdessen auf andere Produkte wie Lebensmittel ausweichen sollten“, sagt Das. Erneut hatten sie Glück im Unglück: Der Markt erholte sich. Im Januar erreichte der Preis mitten in der Pandemie ein Zweijahreshoch. Vor allem Fairtrade-Baumwolle wurde stärker nachgefragt.

Die Unsicherheit bleibt

Auch wenn die Pandemie keineswegs vorbei ist, kehrt Indien langsam zurück zur Normalität. „Die Impfdosen, die verteilt werden, stimmen die Menschen optimistisch“, erklärt Amit Das. Selbst ohne Pandemie bleibt der Baumwollanbau für viele Produzent*innen ein unsicheres Geschäft: Ohne finanzielle Rücklagen sind sie den Schwankungen am Markt schlichtweg ausgeliefert. Oft hängt die Lebensgrundlage der Familien am seidenen Faden. Damit sie Krisen und Preisschwankungen in Zukunft besser überstehen, braucht es höhere Einkommen: „Viele Baumwollbauern verkaufen nur 40 bis 50 Prozent ihrer Ernte zu Fairtrade-Bedingungen. Die große Frage ist: Wie schaffen wir es, auf 100 Prozent zu kommen?“